Weißrussland

Weißrussland ist wütend

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Nach dem Urnengang in Weißrussland am Sonntag, den 9. August 2020 wird der Sieg des Amtsinhabers Alexander Lukaschenko am Montagmorgen verkündet. Westliche Beobachter*innen und die Opposition zweifeln an der Rechtmäßigkeit und Korrektheit der Wahl. Schon in der Nacht auf Montag kommt es in der Hauptstadt Minsk zu Protesten und heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Exekutive.

Mit angeblich 80,2 Prozent gewinnt Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko die Wahlen und beginnt damit seine sechste Amtszeit. Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaja kommt laut Angaben nur auf 9,9 Prozent. Diese kündigte noch an, eine Niederlage nicht anzuerkennen und warf der Regierung Wahlbetrug vor, mittlerweile hat die 37-jährige Politikerin Belarus verlassen und hält sich in Litauen auf. Der regierungskritische Youtuber und Ehemann von Swetlana Tichanowskaja, Sergei Tichanowskaja, befindet sich seit Ende Mai 2020 in Haft. Der Vorwurf der weißrussischen Behörden gegen ihn lautet: Vorbereitung auf einen schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Unter dem wachsenden Druck der Regierung und der eskalierenden Lage in Weißrussland befürchtete Swetlana Tichanowskaja ihre eigene Verhaftung und verließ das Land. Noch wenige Stunden zuvor gab sie sich kämpferisch und zielsicher. Der Versuch gegen Lukaschenko anzutreten, war mutig, dennoch war Tichanowskaja von Anfang an chancenlos, denn der „letzte Diktator Europas“ hat das Land weiterhin im eisernen Schwitzkasten.

Von der neuen Unabhängigkeit zum Autoritarismus

In wahrscheinlich keinem anderen Land ist das post-sowjetische Erbe so stark sichtbar und spürbar wie in Belarus. Nicht nur die Straßennamen und Lenin-Denkmäler stammen noch aus sowjetischer Zeit, auch die Struktur der Industrieproduktion und die Besonderheiten der Energiewirtschaft wurden zu großen Teilen nach dem Zerfall der Sowjetunion weitergeführt. In Sowjetzeiten galt Weißrussland als das Land mit der maximalen Industriekonzentration im sozialistischen Block, damit einhergehend war auch eine maximale Abhängigkeit von Belieferungen mit Bauteilen außerhalb der belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik gegeben. Mit der 1991 erlangten Unabhängigkeit stand die neue Staatsführung vor herausfordernden Veränderungen, die Wiederherstellung einer guten Beziehung zu Russland war unvermeidlich. Noch heute ist der staatliche Sektor der belarussischen Wirtschaft bestimmend, Russland ist nach wie vor der wichtigste Absatzmarkt für Weißrussland und auch in Bezug auf die Abhängigkeit bezüglich der Energieversorgung aus Russland hat sich wenig geändert. Trotz gegenseitiger Verbindlichkeiten kühlt das Verhältnis zwischen Russland und Weißrussland zunehmend ab. Durch die starke Förderung der kulturellen und politischen Selbständigkeit Weißrusslands durch Lukaschenko und die Krimkrise verlieren Lukaschenko und Vladimir Putin die Sympathien füreinander. Dennoch würde ein politischer Umbruch in Weißrussland nichts Gutes für Putin heißen. So wird Lukaschenko seit seinem ersten Amtsantritt 1994 von Putin unterstützt, bis jetzt mit Erfolg, doch nun beginnt die Zivilbevölkerung sich zu wehren.

Der Auftakt zum Widerstand

Seit den Wahlen am Sonntag kam es nun in dritter Nacht in Folge zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. Zahlreiche Videoaufnahmen zeigen das brutale Vorgehen der Staatsgewalt. Mit Blendgranaten und Gummigeschoßen wird versucht, die wütenden Massen auf den Straßen in Schach zu halten. Vor allem in der Landeshauptstadt scheint die Wut der Bevölkerung gegenüber dem Staatsoberhaupt nicht abebben zu wollen. Besonders in der Nacht auf Mittwoch war die Exekutivgewalt besonders drastisch, Kritik aus dem Ausland wird jedoch vom Außenministerium in Minsk vehement abgewiesen. Mit Stand Mittwoch dürfte es um die 6.000 Festnahmen und über 200 Verletzte geben, unter den Verhafteten sollen auch Organisator*innen der Proteste sein. Lukaschenko hat zwar laut Behörden die Wahl mit knapp über 80 Prozent gewonnen, dennoch geht er geschwächt aus der Wahl hervor. Denn landesweit hat er sich über 100.000 erzürnte Menschen zu Feinden gemacht, die nach 26 langen Jahren autoritärer Herrschaft Veränderung wollen und brauchen. Bleibt abzuwarten, ob die weißrussische Bevölkerung ihren Zorn beibehält oder wieder in jahrelange Apathie verfällt.

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