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Kosovo – Eine neue linke Hochburg in Europa?

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Zum zweiten Mal in zwei Jahren hat der Linksnationalist Albin Kurti die Parlamentswahlen im Kosovo mit seiner Partei Vetëvendosje, also Selbstbestimmungspartei, für sich entschieden. Mit einem Meer an albanischen Flaggen wurde vergangene Woche sein Wahlsieg gefeiert. Was sind die Chancen und was sind die Herausforderungen für die neueste linke Regierung Europas? 

Nach 26 Prozent bei den Wahlen 2019 wurde der 45-Jährige erstmals Premierminister – für schlappe 2 Monate. So lange hat es nämlich gedauert, bis Kurti mithilfe von Richard Grenell, der von Trump beauftragt wurde, die Friedensverhandlungen zwischen Serbien und Kosovo zu führen, gestürzt wurde. Das kurbelte die Kosovar*innen an, dem beliebtesten Politiker des Landes mit 48 % bei der Wahl am vergangenen Valentinstag ihr Vertrauen zu schenken und das klarer denn je.

Revolution durch die Wahlkabine

Eine besonders wichtige Komponente für diesen Erdrutschsieg war die amtierende Präsidentin Vjosa Osmani, mit der die Vetëvendosje in den Wahlkampf ging. Die Mutter von zwei Kindern, die vier Sprachen fließend spricht, kommt aus der politischen Mitte und ist besonders beliebt bei Frauen und der bürgerlichen Klasse des Kosovo. Während Osmani diesen Teil der Kosovar*innen von der Selbstbestimmungs-Partei überzeugen konnte, holte der Revoluzzer Albin Kurti die Jungen ins Boot.

Der Kosovo wurde erst vor 22 Jahren, nach Jahrhunderten der Unterdrückung, mithilfe der albanischen Organisation UCK, die sich für die Unabhängigkeit des Landes einsetzte, befreit – auch wenn das Land heute nur von 60 % der UN-Nationen anerkannt wird. Das Alter der Kosovar*innen entspricht dem jungen Wesen des Landes mit knapp 2 Millionen Einwohner*innen – der Kosovo ist mit einem Durchschnittsalter von frischen 29,1 Jahren und der erst 2008 erreichten Unabhängigkeit in vielerlei Hinsicht das jüngste Land Europas. Seit den ersten Wahlen im Kosovo wechselten sich zwei Parteien, die beide durch tiefe Korruption charakterisiert sind, in der Führung ab. Die demographische und politische Realität des Landes entflammte den revolutionären Geist der Kosovar*innen. Albin Kurti, der in der UCK aktiv war, Studentenproteste organisierte und von den Werken Antonio Gramscis inspiriert wurde, bediente diese radikale Grundhaltung, die von enormer Arbeitslosigkeit und Korruption bestärkt wurde. Parteinahe Quellen bezeichnen den Wahlsieg als „eine friedliche politische Revolution durch die Wahlkabine“.

Junge Hoffnung

Piro Rexhepi, ein Ökonom mit Balkanfokus, sagt in einem Gespräch mit TRT (Türkische Hörfunk- und Fernsehanstalt), dass „Vetevendosje die einzige politische Bewegung im Kosovo ist, die das Land aus der tiefgreifenden ökonomischen und politischen Krise holen kann. Sie ist die einzige Alternative zu korrupten, konservativen Kräften, die das Land seit zwei Jahrzehnten als Geisel gehalten haben“.

Obwohl Kurti, Osmani und Vetevendosje wohl die größte Hoffnung in dem sozioökonomisch hochkomplexen Land sind, sind die Herausforderungen enorm. Laut Adem Ferizaj, einem Doktorand an der SOAS University of London, der sich auf Kosovo und Albanien spezialisiert, ist die Erwartungshaltung der Kosovar*innen riesig, was den Druck auf Kurti und Osmani anschwellen lässt. Wenn es nicht gelingt, die Perspektiven der jungen Kosovar*innen, die großes Misstrauen gegenüber dem Establishment hegen, zu verbessern und ihr Vertrauen verspielt wird, kann das verheerende Folgen haben.

Sensibel bleiben, sonst droht Krieg!

Historisch gesehen greifen Politiker*innen, deren innenpolitische Ziele scheitern – in Kurtis Fall: die Bekämpfung von Korruption und Arbeitslosigkeit, auf außenpolitisches Engagement zurück. Im Kosovo könnte das einen schlafenden Drachen wecken. 90 % der Kosovar*innen sind ethnische Albaner*innen, Schulbücher sind auf Albanisch und die Nationalspeise Flia, eine pastetenähnliche Mischung aus Teig und Milchprodukten, wird ebenso in Albanien als Kulturgut genüsslich verzehrt. Es liegt nahe, dass eine eventuelle Vereinigung der beiden Nationen auf dem Tisch ist und schon immer war. Albin Kurti meinte zwar, dass man das Recht auf eine Vereinigung wolle, aber keinen dritten Balkankrieg für dieses Ziel starten wollen würde. Wenn man diese Problematik jedoch unsensibel behandelt, liegt der Beginn eines Krieges nicht nur in kosovarischen Händen, sondern auch in jenen von Serbien, dem der Kosovo bis vor Kurzem noch angehörte. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo noch immer nicht an. Der serbischen Regierung ist die Annäherung des Kosovo an Albanien ein gehöriger Dorn im Auge.

In ganz Europa kommt die Antwort auf die Schwächen der liberalen Demokratien und des Neoliberalismus aus der Ecke des Populismus des rechten Randes. Der Kosovo ist das einzige Beispiel, wo die Antwort aus dem linken Lager kommt. Es wird spannend zu sehen, ob es Kurti und Osmani gelingen wird, entschieden gegen Korruption und die tief institutionalisierte Ungleichheit vorzugehen. Und wenn es gelingt, ob diese linke Antwort auch jenseits der Landesgrenzen Europas Linke inspirieren kann. Die jungen Kosovaren und Kosovarinnen hätten es auf jeden Fall verdient.

Titelbild: (c) Agron Beqiri/Wikimedia Commons

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