„Wer Demokrat ist, müsste bei sowas zurücktreten.“ – Interview mit Fayad Mulla (Wandel)

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Wir haben Fayad Mulla, den Spitzenkandidaten der Partei Wandel, die 2019 erstmals bundesweit zur Nationalratswahl angetreten ist, über Skype getroffen. Wir plauderten darüber, ob die Demokratie nun wirklich in Gefahr ist, ob das bedingungslose Grundeinkommen in den Startlöchern stehen könnte und welche Schulnote Sebastian Kurz für die Coronakrise verdient hat.

Guten Tag! Wie geht es ihnen in den Zeiten von Corona?

Verhältnismäßig gut. Im Homeoffice natürlich. Ich spiele seit dem ersten Tag der Quarantäne jeden Tag mit der Wandel-Soundanlage am Dach Musik. Nachdem mir die NachbarInnen Dankezettel an die Tür geklebt haben und immer mehr Menschen klatschen und Zugabe rufen, bin ich jetzt schon bei fünf Liedern am Tag angekommen. Gestartet habe ich mit einem.

Kann wieder alles sein wie früher, wenn die Krise mal vorbei ist?

Es wird sicher seine Zeit brauchen, um alles wieder hochzufahren, aber ich glaube, dass es relativ einfach sein sollte. Was aber nicht einfach wird, ist, aus dieser alten Normalität auszubrechen. Das passiert nicht einfach so, dass Krankenschwestern so wertgeschätzt werden und so einen guten Lohn erhalten, wie sie es eigentlich verdienen. Bullshitjobs wie Investmentbanker werden auch nicht von alleine wegfallen und die Vermögensverteilung wird, wie es momentan aussieht, auch nicht fairer gestaltet. Gerade merkt man, wer die wahren Leistungsträger der Gesellschaft sind – Supermarktangestellte, Krankenschwestern und LKW-Fahrer – und wen man eben nicht braucht. Eine langfristige Transformation dieses Gedankenschemas müssen wir einfordern und aktiv werden, wenn sich etwas ändern soll. 

Kann diese Krise ein Chance für die Linke sein?

Ich würde das eher eine Chance für die Gesellschaft nennen. Niemand findet es gut, dass Superreiche und Konzerne ihre Steuern bis zum Geht-nicht-mehr optimieren, während die Menschen im Bildungs- oder Gesundheitssektor schlecht verdienen und überarbeitet sind. Bei Reichensteuern oder Arbeitszeitverkürzung gibt es ähnlichen Konsens. Diesen Mehrheiten muss eine Stimme gegeben werden und das ist unsere Chance.

In den letzten Jahren verzeichneten einige linke Bewegungen auf der Welt, wie in Spanien, Griechenland – bis zu einem gewissen Grad auch in den USA – Erfolge. Warum konnten die diesen Konsens nutzen?

Ich glaube nicht, dass man Länder so direkt vergleichen kann. Einerseits hat es in Österreich nie diese Tradition einer großen linken Partei, gegeben. Andererseits wurde, bis zum Ende der Kreisky-Ära, ein sehr großer Teil dieses Gedankenguts von der SPÖ abgedeckt. In den 80er-Jahren hat dann aber die SPÖ ihre Ideologie gekübelt und ihre Arbeit eingestellt. Der Neoliberalismus wurde verinnerlicht und nun hat auch bei der SPÖ immer der Markt das letzte Wort. Das heißt, dass sich eine linke Tradition erst entwickeln muss – daran arbeiten wir. Außerdem gibt es kulturelle Verschiedenheiten – in Frankreich ist es selbstverständlich, dass man streiken geht. Das würde ich mir auch für Österreich wünschen – dann ist eine Veränderung auch hier möglich. Es gibt nichts Mächtigeres als Menschen, die ihre Arbeit niederlegen. Da können die Agenda Austria und die Industriellenvereinigung baden gehen.

Die Nachfrage ist also da und das Angebot stimmt nicht?

Es gibt diverse Meinungsumfragen, die zeigen, dass die Chancen einer linken Partei in Österreich im zweistelligen Bereich angesiedelt sind. In der Praxis ist das natürlich aber sehr schwer, wenn man kaum Geld hat, während die alten Parteien mit Steuermillionen überhäuft werden. Oder wenn der ORF entscheidet, dass neuen Parteien praktisch keine Möglichkeit gegeben wird, sich zu präsentieren und mit den bestehenden Parteien zu diskutieren, um Unterschiede aufzuzeigen. Auch in den Zeitungen wurden wir wenig bis gar nicht erwähnt. Für die meisten bedeutet das, dass es uns nicht gibt. Den Menschen wird einfach eine Möglichkeit auf Alternative und Veränderung genommen.

Gleichzeitig finde ich es trotzdem positiv zu sehen, dass wir es geschafft haben, als einzige neue Partei in Österreich 2019 bundesweit anzutreten – mit einem Wahlkampfbudget von 7000 Euro. Damit hängt der Herr Kurz ein Plakat auf und geht zum Friseur. (lacht)

Sehen sie durch die Entwicklungen in Ungarn und der Ausgangsbeschränkungen eine Gefahr für die Demokratie oder gar eine Bewegung hin zu Autoritarismus?

Wenn man nach Ungarn schaut, ist die Demokratie durch das Ermächtigungsgesetz nicht mehr nur gefährdet sondern großteils schon dahin – und zwar unbefristet, wenn Orban es will. In Österreich sieht man, finde ich, auch erste Anzeichen davon. Einige Gesetze, die in der Coronazeit verabschiedet wurden, sind nicht verfassungskonform, aber der Bundeskanzler sieht keinen Grund zur Nachbesserung. Die Verfassung ist offenbar für ihn und die Grünen nicht etwas, was man als höchstes Gut anerkennen muss. Jeder Politiker, der sich als Demokrat sieht, müsste bei sowas eigentlich zurücktreten. Selbiges gilt für die Pressefreiheit, wo Österreich zum zweiten Mal in Folge im Ranking abgestiegen ist und nur mehr mit „ausreichend“ bewertet wird.

Was für eine Schulnote würden sie Sebastian Kurz und seiner Regierung geben?

Im Endeffekt machen die Politiker, wenn sie nicht gerade Donald Trump heißen, weitgehend das, was die WHO empfiehlt und die macht eine verhältnismäßig gute Arbeit. Verhältnismäßig, weil das eine ganz neue und unbekannte Herausforderung ist. In Österreich wird ein Gesetz nach dem anderen durch den Nationalrat gepeitscht, die Verfassung hinten angestellt, die großen Firmen schnell gerettet und die Kleinen müssen ewig betteln. Am Ende werden wir alle verschuldet dastehen und riesige Sparprogramme erleben, während die Reichen von dieser Regierung nicht zur Kasse gebeten werden. Abgesehen davon würde ich ihm natürlich einen Fetzn‘ geben, weil er ein Rechtspopulist ist. Nazis und Rechtspopulisten kriegen immer Fünfer.

Wie stehen sie zur Corona-App?

Eine funktionierende App und Big Data würden uns immens helfen, aber wenn eine solche App privat geführt wird und Datenschützer nicht in die Entwicklung einbezogen werden und der Quellcode nicht offengelegt wird, dann lehne ich das natürlich ab. Auch die Arge Daten hat die Corona-App als ungeeignet analysiert. Man muss nicht per se gegen Technik sein, aber leider ist es immer das gleiche, dass am Ende der Verdacht der Überwachung und des Datensammelns im Raum steht.

Das Herzstück im Parteiprogramm des Wandels ist das Bedingungslose Grundeinkommen. Noch vor wenigen Monaten hätte man sich nicht vorstellen können, dass der Großteil der Länder Geld ohne Leistung vergibt. Könnten wir gerade die Schnuppertage für das BGE erleben?

Ich sehe nicht wo. Prinzipiell ist die Idee hinter dem Grundeinkommen die, dass man Existenzängsten ein Ende setzt, die Fixkosten deckt und sich die Menschen frei entfalten lässt, bedingungslos. Diese Zahlungen, die jetzt getätigt werden, sind aber nicht dauerhaft und von keiner angemessen Höhe, was das Grundeinkommen voraussetzen würde. Wirkliches Aufblühen eines Grundeinkommens wird man erst sehen, wenn es absolut bedingungslos, unbefristet ist und eine Höhe hat, von der man auch wirklich leben kann. Aber ja: Ich glaube, die Diskussion Grundeinkommen gewinnt an Fahrt und erreicht mehr und mehr Menschen. Das ist gut so. Uns wird mit dieser Krise gerade gezeigt, dass der Westen auch nicht unverwundbar ist – in den USA verloren zum Beispiel 16 Millionen Menschen in zwei Wochen ihren Job – und die Frage, die sich jetzt stellen wird, ist: ‚Wollen wir, dass auch in Krisen wie diesen Menschen gut weiter leben können oder nicht?‘

Der Volkswirt Luke Martinelli schrieb einmal: „Ein leistbares BGE ist inadäquat und ein adäquates ist unleistbar.“ Wie wäre das bedingungslose Grundeinkommen in Österreich finanzierbar?

Das stimmt, wenn man sich nur traut, maximal ein paar Prozentchen an Finanztransaktionssteuern zu verlangen. Wir stellen uns aber ein Grundeinkommen von 1.500 Euro im Monat vor. Ab dem Betrag kann man in Österreich eine sichere und gute Existenz führen. Deswegen müssen wir auch mutigere Schritte auf der Finanzierungsseite setzen. Geld gibt es reichlich, es gehört nur den Falschen und das wollen wir zum Beispiel mit einer Vermögensobergrenze ändern, denn jeder Milliardär ist in Wahrheit Staatsversagen. Gepaart mit Erbschaftssteuern, Vermögenssteuern und anständiger Besteuerung der Riesenunternehmen wie Amazon oder Facebook. Hier kann man auch von einer Gefahr der Demokratie sprechen. Ein Mark Zuckerberg, den nie jemand gewählt hat, hat zum Beispiel mehr Macht als die deutsche Bundeskanzlerin.

In was für einem Österreich würden wir gerade leben, wenn der Wandel den Bundeskanzler stellen würde?

Wenn wir an die Macht kommen würden, wäre das erste was wir machen, erst einmal Macht abzugeben, indem wir den nutzlosen Bundesrat durch einen BürgerInnenrat ersetzen. Da würden jedes Jahr 100 parteilose, ganz normale Menschen sitzen. Alle Entscheidungen, die vom Parlament beschlossen werden, müssen dann da durch gehen, bevor sie ihre Gültigkeit erhalten. Und dann würden wir weiter unser Zukunftsprogramm umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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