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„Blutspenden ist keine ideologische Frage“ – Yannick Shetty im Interview

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Yannick Shetty ist 25 und der jüngste Nationalratsabgeordnete in Österreich. Er ist LGBTIQ-, Sport-, Integrations- und Jugendsprecher der NEOS und setzt sich prominent dafür ein, dass das noch geltende Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer aufgehoben wird. Wir haben ihn getroffen und über die Blutspende, Visionen für ein LGBTIQ-freundliches Österreich und die Auswirkungen der Corona-Krise auf junge Menschen gesprochen.

Titelbild: (c) Max Hatzl

Du hast im Zuge der Corona-Krise deinen freiwilligen Zivildienst geleistet. Warum eigentlich?

Im März haben wir damit gerechnet, dass auch der parlamentarische Betrieb massiv reduziert wird. Ich war zu dem Zeitpunkt seit fünf Monaten Abgeordneter und habe mir das erste Jahr natürlich anders vorgestellt. Ich hatte keine Lust, zwei Monate nichts zu tun und fände es auch ein bisschen dreist. Abgeordnete verdienen sehr gut und meine Sprecherrollen waren nicht berührt. Ich bin nicht Gesundheitssprecher oder Wirtschaftssprecher. Warum nichts Vernünftiges machen und mich da einbringen, wo ich einen größeren Beitrag leisten kann? Es war auch der Gedanke da, dass Medien darüber berichten, dass es eine gewisse Vorbildwirkung hat. Aber es war durchaus eine anstrengende Zeit, vor allem deswegen, weil es im Parlament schneller als erwartet wieder losgegangen ist. Beides gleichzeitig war echt zach.

Hattest du rückblickend das Gefühl, im Zivildienst einen größeren Beitrag leisten zu können als im Parlament?

In diesen zwei Monaten schon. Vor allem, dass ich über meine Kanäle auch dazu aufgerufen habe, das Ganze bekannt gemacht habe. Wenn das bewirkt hat, dass sich ein bis zwei andere deswegen gemeldet haben, dann war das schon ein großer Beitrag.

Du hast die recht erfolgreiche Petition zur diskriminierungsfreien Blutspende gestartet. Was war die Motivation dahinter?

Wir haben heute noch die geltende Rechtslage, dass es homo- und bisexuellen Männern immer noch verboten ist, Blut zu spenden. Das ist historisch und sachlich begründet, weil beim Ausbruch der HIV-Epidemie die Kohorte der schwulen Männer besonders stark betroffen war. Es hat sich aber in den letzten 30 Jahren etwas getan. Es ist stigmatisierend, diskriminierend und nicht sachlich gerechtfertigt, dass diese Gruppe pauschal von der Blutspende ausgeschlossen wird. Im Kontext der Corona-Pandemie, wo Blutspenden und die Blutplasmaspenden von Covid-Genesenen gebraucht werden, ist das nicht zielführend. Bestimmte sexuelle Verhaltensweisen, vor allem der ungeschützte Geschlechtsverkehr, gelten als Risikoübertragung. Es wäre doch viel gescheiter, nicht zu fragen, ob man als Mann in den letzten zwölf Monaten Sex mit einem Mann hatte, sondern, ob man risikoreichen Sexualverkehr hatte. Mediziner müssen definieren, welcher statistisch der risikoreichste ist und nach welchem man einen Ausschluss rechtfertigen kann. Die Petition war die erfolgreichste Petition in dieser Gesetzgebungsperiode bisher und hat bewirkt, dass Minister Rudolf Anschober eine Hundertachtziggradwende gemacht hat. Er war davor dagegen, die Blutspende zu öffnen. Vor der Wien-Wahl ist der Druck aus der eigenen Partei groß geworden, und er hat seine Meinung geändert. Jetzt muss man es halt umsetzen. Er hat es angekündigt, das ist schon mal ein großer Erfolg, aber umgesetzt ist es noch nicht.

Du hast Rudolf Anschober auf Twitter einen „Ankündigungs- und Nicht-Umsetzungsminister“ genannt. Was sind, deiner Meinung nach, die Gründe dafür, dass die Grünen dabei jetzt auf der Bremse stehen und nicht in die Umsetzung gehen?

Wir vermuten, dass Beamte, die schon vor Anschober im Gesundheitsministerium waren und teilweise sehr konservativ sind, eine ablehnende Haltung haben. Das Thema ist Anschober einfach zu wenig wichtig, als dass er den Druck erhöhen würde. Er kann sich gegen seine eigenen Beamten scheinbar nicht durchsetzen. Das ist oft so, nur würde ich mir von einem führungsstarken Minister erwarten, dass er bei Themen, für die seine Partei jahrzehntelang gestanden ist, auch standhaft bleibt.

Andere Staaten haben in der Corona-Krise die Regulierung schon gelockert. Warum funktioniert das in anderen Ländern, wie den USA, Brasilien und Ungarn und nicht in Österreich?

Diese Länder sind draufgekommen, dass schwules Blut vielleicht doch nicht so schlimm ist und dass man es doch gerne hat, wenn man es braucht. Die haben pragmatisch agiert. Man muss diese Frage entideologisieren. Es ist keine ideologische Frage, sondern sollte eine wissenschaftliche Frage sein.

Wieso lässt sich die Frage in Österreich nicht entideologisieren?

In unterschiedlichen Ländern wird die Blutspende unterschiedlich abgewickelt. In vielen Staaten wird das durch staatliche Einrichtungen gemacht, in Österreich durch das private Rote Kreuz. Das Rote Kreuz hat eine starke Nähe zur ÖVP, die sozialpolitisch sehr restriktiv ist. Ich habe mit einem hochrangigen Vertreter des Roten Kreuzes zum Thema Blutspende gesprochen und ihn gefragt, wo das Problem dabei ist, wenn wir nicht nach der sexuellen Orientierung fragen, sondern nach besonders risikoreichem Sexualverhalten. Man könnte beispielsweise ungeschützten Analverkehr nennen. Er hat geantwortet: „Eigentlich spricht nichts dagegen. Aber wir können ja nicht den 50-jährigen Blutspender am Land fragen, ob er ungeschützten Analverkehr hat.“ Da sind ganz andere Ressentiments im Hintergrund.

Wäre es eine Lösung, die Abwicklung der Blutspende in staatliche Hand zu legen?

Ich würde nicht fordern, dass man dem Roten Kreuz die Blutspende entziehen sollte. Aber eine spannende Recherche von Addendum zeigt zum Beispiel, dass vieles im Graubereich abgewickelt und wahnsinnig viel Geld damit gemacht wird. Das Rote Kreuz hat ein Monopol. Man kann darüber nachdenken, wie man das neu strukturiert. Dass das nur staatliche Akteure machen können, würde ich nicht behaupten.

Also soll die Abwicklung der Blutspende reformiert werden?

Ja, auf jeden Fall. Vor allem muss man die Monopolstellung des Roten Kreuzes überdenken. Ich glaube 98% der Blutspenden werden über das Rote Kreuz abgewickelt. Das sucht in anderen Ländern seinesgleichen. Das ist nicht unbedingt eine Frage von Staat oder privat, die da im Vordergrund steht.

Yannick Shetty Interview
(c) Max Hatzl

Welche Vision hast du für die LGBTQ-Community in zehn Jahren? Kannst du in drei Stichwörtern zusammenfassen, was noch getan werden muss?

Erstens müssen wir die noch bestehenden rechtlichen Ungleichheiten beseitigen. Suizidalität unter schwulen Burschen korreliert mit dem rechtlichen Fortschritt. Nach der Öffnung der Ehe für alle ist die Suizidrate unter schwulen Männern gesunken. Das hat auch auf Jugendliche einen Impact. Es ist ein Zeichen zu sagen: „Du bist nicht unerwünscht. Wir fügen dich in unser rechtliches Gefüge ein, indem du heiraten können darfst.“

Zweitens müssen wir in wichtigen staatlichen Einrichtungen, also der Polizei, der Armee, Sensibilisierungsarbeit leisten. Ich war vor drei Jahren in den Niederlanden. In einem Club, in dem auch viele aus der Community waren, war beim Eingang ein Plakat der niederländischen Polizei. Die Botschaft war: Wir, die Polizei, sind für dich da, wenn du von Gewalt oder Verfolgung bedroht wirst. So etwas würde ich mir auch für Österreich wünschen. Dass man das Gefühl hat, dass staatliche Autoritäten für bedrohte und vulnerable sexuelle Minderheiten da sind.

Der dritte Punkt, der mir auch am wichtigsten ist, ist Bildungsarbeit. Österreich schneidet massiv unterdurchschnittlich ab was die Frage betrifft, wie stark LGBT-Inhalte im Schulunterricht vorkommen. Ich glaube 68% aller ehemaligen Schülerinnen und Schüler geben an, dass sie im Schulunterricht kein einziges Mal etwas über alternative Lebensentwürfe gehört haben. Wenn man in der Schule häufiger damit in Kontakt kommt, ändert das etwas. Man muss bei den Lehrplänen und der Lehrerausbildung ansetzen. Bei Menschen, die jetzt noch jung sind und bei denen Homophobie noch keinen Einzug hat, hat man einen riesigen Hebel.

Man kann davon ausgehen, dass man im Jahr 2020 in einem offeneren Umfeld aufwächst als noch Jahrzehnte davor. Trotzdem steht man als junger, queerer Mensch vor vielen Problemen. Welche sind das vor allem?

Wir haben große Probleme in den weniger urbanen Gebieten, auch wenn es darum geht, Safe Spaces zu schaffen. Junge Menschen aus der Community sind besonders häufig von Obdachlosigkeit bedroht. In Österreich zum Glück nicht so stark, in den USA ist das aber ein großes Thema. Wenn die Eltern das Outing nicht akzeptieren, stehen junge Menschen plötzlich vor stark veränderten Lebensumständen. In Wien haben wir es geschafft, dass in den nächsten Jahren in Wien ein queeres Jugendzentrum errichtet wird. Ich würde mir wünschen, dass wir damit auch stärker in die Bundesländer kommen.

Du bist auch Jugendsprecher. NEOS bemüht sich vor allem auch um eine junge Wählerschaft. Trotzdem schneiden bei den jungen Menschen ÖVP und Grüne besser ab. Warum?

Bei den ganz Jungen stimmt das. Ich stelle mir die Frage auch oft. Wir machen Politik für die nächsten Generationen, weil wir die Einzigen sind, die Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit allumfassend definieren. Die Grünen, deswegen sind sie auch so stark, haben die Zuschreibung, dass sie sich um die Klimapolitik kümmern. Da haben wir große Überschneidungen. Aber die Frage nach Nachhaltigkeit ist auch eine der Sozialsysteme. Die anderen Parteien haben, weil sie größer und auf diese Wählergruppen angewiesen sind, Angst, ältere Wähler und Wählerinnen zu verschrecken. Wir sagen, dass es eine fundamentale Reform unseres Pensionssystems braucht. Während der Corona-Krise halte ich die außertourliche Erhöhung von Pensionen für besonders skandalös. Es werden nicht nur die Mindestpensionen erhöht, das fänden wir gut, sondern auch die hohen Pensionen. Arbeitnehmer oder kleine, mittlere Betriebe stehen jetzt vor wirtschaftlicher Existenzlosigkeit. Pensionisten und Pensionistinnen haben alle, egal ob niedrige oder hohe Pensionen, ein gesichertes Einkommen. Es findet zurzeit eine Spaltung in der Gesellschaft statt, zwischen jenen, die sich auf ihr Einkommen verlassen können (Politiker, Beamte, Pensionisten) und all jenen, die einen Jobverlust befürchten müssen, die fürchten müssen, dass ihr Unternehmen in Konkurs geht. Anscheinend kommen wir nicht so damit durch, wie wir durchkommen sollten. Eigentlich sollten wir 60% bei den Jungen haben. Aber das ist ein valider Kritikpunkt.

Ist die Jugend politikverdrossen?

Nein, das habe ich nie so gesehen. Ich glaube, es gibt genauso viele verdrossene ältere Menschen, wie es junge gibt. Ich glaube, bei den Jungen geht es mehr darum, noch keine Berührung zur Politik zu haben. Ich merke das oft bei Schuldiskussionen. Da habe ich oft das Gefühl, dass sie noch keinen Zugang zu Politik haben und sich noch nichts darunter vorstellen können. Ich halte das für eine recht überhebliche Zuschreibung der älteren Generation.

Viele junge Menschen haben momentan das Gefühl, zum Sündenbock der Corona-Krise gemacht zu werden, indem man ihnen ständig unverantwortliches Verhalten unterstellt. Andererseits haben junge Menschen die meisten Einschränkungen zu tragen, auch was den massiven Einbruch der Bildungsqualität betrifft. Wie soll die Politik da antworten, damit es nicht zu einem verschärften Generationenkonflikt kommt?

Der Claim damals war: „Schau auf mich, schau auf dich.“ Im Endeffekt war es: Wir, die Erwerbstätigen stecken zurück für euch, die ältere Generation, die besonders vulnerabel ist. Es war absolut richtig, dass wir diese Maßnahmen gesetzt haben und sie jetzt auch wieder setzen. Nur weil man alt ist, ist man nicht auf der Abschussliste. Aber mir fehlt in der Politik das Bewusstsein dafür, wie viele Opfer die junge Generation gebracht hat. Viele sind sich nicht bewusst, welche massiven Auswirkungen diese Pandemie auf die Karrieren und Lebenswege von vielen jungen Menschen haben wird. Wir müssen schauen, dass wir die jungen Menschen, die schon besonders stark betroffen sind, nicht zusätzlich belasten. Dass wir Kindergärten und Schulen nicht von heute auf morgen schließen. Das trifft besonders die Kids, die schon aus benachteiligten Milieus kommen. Wir haben auch gesagt, dass der Unibetrieb in geordnetem Maße aufrechterhalten bleiben muss. Ich habe das Gefühl, das ist bei der Verkündung der Maßnahmen immer als Letztes gekommen. Ja, zu den Maßnahmen, die notwendig sind, aber nur in dem Ausmaß, wie sie auch erforderlich sind. Wir gehen den Mittelweg zwischen der FPÖ und der türkis-grünen Bundesregierung, die glaubt, sie muss immer mit dem Hammer voll durchgreifen.

Zum Abschluss: Lieber Türkis oder lieber Grün?

Wohl eher Grün. Vor fünf Jahren hätte ich mir mit der Entscheidung zwischen einer ÖVP vor Sebastian Kurz und den Grünen vielleicht nicht so leicht getan. Mittlerweile sind uns die Grünen, die mir zwar in vielen Bereichen viel zu weit linke Positionen, aber auch Positionen, die in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt sind, vertreten, näher als eine ÖVP unter Sebastian Kurz, die nach ganz rechts außen gewandert ist, die in Wien einen teilweise rassistischen Wahlkampf gemacht hat, die inhaltlich nicht mehr unterscheidbar war von der FPÖ. Ich höre immer wieder von ÖVPlern: „Die NEOS sind so links geworden.“ Ich glaube nicht, dass wir links geworden sind. Ich glaube, wir sind da, wo wir immer waren: in der Mitte. Aber es verändert sich natürlich die Perspektive, die Betrachtungsweise. Wenn man ganz rechts außen abbiegt, dann kommt einem so ziemlich alles andere links vor.

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