Berlin

Liebe, unpolitisch – Rezension „Allegro Pastell“

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Es soll die Lovestory dieser Generation sein. Leif Randts neuer Roman Allegro Pastell (Kiepenheuer und Witsch), nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse, beschreibt das Leben zwischen Drogenkonsum, Sexpartys und hippen Kreativjobs, zwischen Berlin und Maintal und zwischen ernsten Lebensentwürfen und chronischer Bindungsangst. Doch nicht nur die verzweifelten Mittdreißiger, sondern auch das Erzählen selbst gestaltet sich dabei oberflächlich und entpolitisiert.

Leif Randt wählt die Außenperspektive, seine Figuren werden beschrieben und seziert, erzählt wird auf knappen 300 Seiten eher wenig. Es ist der analytische, kalte Bericht über durchschnittliche, ja austauschbare Lebensentwürfe, ein Leben steht neben dem anderen, die Figurenzeichnung beschränkt sich auf stereotype Folien, über die sich die Erwartungen des sogenannten Zeitgeists stülpen. Der Roman ist das idealtypische Abbild eines gesellschaftlichen Zustandes, der sich durch seine scheinbar fehlenden Reibungsflächen, seine fehlenden Widersprüche und glatte Oberflächlichkeit, schnell auch in eine Dystopie der Langeweile verwandeln kann.

Scheinheiligkeit, Sex und Selbstoptimierung

So ist auch die im Mittelpunkt stehende Liebesgeschichte zwischen Tanja und Jerome eine durchschnittliche: man findet sich, verliebt sich, verliert sich, sucht Zuneigung und Bedeutung im Digitalen, während man im analogen Leben voreinander und vor der enttäuschenden Normalität flieht. Man arbeitet gemütlich von zu Hause aus, erzählt allen von den Vorteilen der „Selbstverwirklichung“, geht schick essen, gibt vor, sich für Kultur zu interessieren, genießt extreme Rauscherfahrungen, hat beiläufigen Sex, beiläufige Affären und gründet genauso beiläufig eine nette, aber völlig uninteressante Kleinfamilie. Das Portrait ist stimmig, man erkennt sich selbst darin wieder, ekelt sich ein wenig vor dem nichtssagenden eigenen Alltag, der fehlenden Tiefe und Relevanz. Doch wo der Text als Bericht erfolgreich gesellschaftliche Konturen nachzeichnet, scheitert er als Roman.

Wo bleibt die literarische Verstörung?

Es fehlen die Abgründe, die ambivalenten Figuren, es fehlen wirkliche, literarische Konflikte, die Handlung prallt am Leser ab, geht nicht unter die Haut, sondern fühlt sich viel zu normal an, als dass es wehtun könnte: „Die Gegenwart jedoch, die sich aus enormer Helligkeit, beruflichem Erfolg und erstaunlichen Euphorieschüben beim Joggen zusammensetzte, war ziemlich in Ordnung.“ Allegro Pastell zeigt keinen Bruch, der diese Gegenwart zu einer interessanten machen könnte, es gibt kein Kippen, keinen dramaturgischen Höhepunkt, keine Katastrophe.

Ich-Bezug ohne Welt

Gesellschaftliche Wirklichkeit wird nur am Rande reflektiert, die Realität streift die fiktive Sphäre des Romans nur nebenbei. Der Text wird zwar im „Jahrhundertsommer 2018“ datiert, aber kaum im Kontext der Klimakrise betrachtet. Politisches Engagement beschränkt sich darauf, den Hund nach Bernie Sanders zu taufen, und festlegen will man sich sowieso auf nichts: Jerome „spürte schon ein Unbehagen, wenn er seinen Namen neben andere Namen auf Petitionslisten setzen sollte, auch bei Vorschlägen, die er zu 100% unterstützte.“

„Die Wahrheit ist ja, dass ich nicht unglücklich bin, wenn ich alleine bin. Und doch besteht diese vage Sehnsucht danach, dass etwas passiert, das sich der eigenen Kontrolle entzieht.“

Diese Sehnsucht bleibt auch nach der Lektüre von Allegro Pastell bestehen. Man sehnt sich nach dem Knall, dem gewissen Etwas, der Prise Spannung. Doch vielleicht besteht die Qualität des Romans, neben den genauen Beobachtungen und dem hohen Identifikationspotenzial sogar vor allem darin, sich der Spannungsdoktrin der zeitgenössischen Literaturlandschaft zu entziehen.

Cover Allegro Pastell
(c) Kiepenheuer und Witsch

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