Eine unmögliche Liebe: „Wo wir stolpern und wo wir fallen“ – Rezension

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Mit einem Überfall fängt alles an: Ein junger Drogendealer will eine muslimische Witwe ausrauben und von der ersten Sekunde an ist da ein Funke zwischen den beiden, sie verlieben sich. Das ist ein Plot, der zwar neugierig macht, aber fast schon Garantie für einen grauenvollen Groschenroman sein könnte. Was ist also los mit dem Debütroman von Abubakar Adam Ibrahim?

Das Buch, für das Ibrahim mit dem Nigerianischen Literaturpreis 2016 ausgezeichnet wurde, beginnt bereits so neuartig und mystisch, dass alles andere in den Hintergrund gerät:

Hajiya Binta Zubairu wurde im Alter von fünfundfünfzig Jahren endlich zum Leben erweckt, als ein Gauner mit dunklen Lippen und kurzem Stachelhaar, das wie ein Feld mit winzigen Ameisenhügeln aussah, über ihren Zaun kletterte und mitsamt seinen Stiefeln im Tümpel ihres Herzens landete.

So lautet der erste Satz, und das erste Kapitel ist wie alle anderen übertitelt mit einem traditionellen nigerianischen Sprichwort:

Egal wie hoch ein Stein geworfen wird, er fällt unweigerlich herunter.

Da sind wir also, mitten in der Geschichte, mit dem ersten Satz schon. Der Gauner heißt Hassan, wird aber von seiner Gang nur Reza genannt, eine Anlehnung an Razor, ein jung verdienter Spitzname. Hajiya, 30 Jahre älter als er, kann sich Anziehungskraft und Begehren genauso wenig erklären wie er selbst, er erinnert sie an ihren verstorbenen Sohn, sie ihn an seine abwesende Mutter. Reza lässt von ihr ab, steht am nächsten Tag wieder vor der Tür, bringt ihr das Gestohlene zurück, entschuldigt sich, sie bittet ihn hinein. Damit beginnt eine Beziehung, die nicht sein darf, die nicht sein kann, die sie geheim halten müssen vor ihrer Familie und seinen Kollegen.

Wo wir stolpern und wo wir fallen erzählt aber von viel mehr als von der Unmöglichkeit einer Liebe. Es geht um die sexuelle Unterdrückung der Frau, Verlust, um Grausamkeiten der Politik und Religion in Nigeria, um Traumata. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund breitet sich die Erzählung des Lebens der Einzelnen aus, geprägt von unvorstellbaren Verbrechen und dem behutsamen Umgang damit. Ibrahim richtet die Widmung im Buchdeckel an seine Heimatstadt Jos, die immer wieder von tödlichen Konflikten zwischen Muslim*innen und Christ*innen erschüttert wird:

Für Jos, meine geliebte Stadt, ewig gezeichnet vom Blut der Unschuldigen und von der Erinnerung an die hingeschlachtete Unschuld

Der Autor wurde bereits vor seinem Debüt mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, 2014 landete er auf der Hay Liste der vielversprechendsten afrikanischen Autoren unter 40 Jahren, und vielversprechend ist tatsächlich jedes Kapitel, das er schreibt. Season of Crimson Blossoms, wie der Roman im Original heißt, lässt tief eintauchen in das heutige Nigeria, in Traditionen, Korruption, Generationenkonflikte und Moderne.

(c) Residenz Verlag
(c) Residenz Verlag

Weitere Informationen

Das Buch findet ihr hier.

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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