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Ceci n’est pas de l’amour: Offene Beziehungen

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Dieser Text ist eine Erklärung an die Liebe. Liebe als offene Form von Zuneigung, die ihren Wert nicht im Besitz einer Person oder eines Objekts findet, sondern sich dialogisch zwischen den Liebenden entfaltet. Momentan haben sich mein Partner und ich für eine offene Beziehung entschieden, was sich jederzeit wieder ändern kann.

Paul Auster hat einmal geschrieben, dass Sprache nicht die Wahrheit ist, sondern bloß unser Dasein in der Welt reflektiert. Etwas Ähnliches gilt irgendwie auch für Beziehungen: Es gilt eine Sprache zu finden, die die Bedürfnisse der Beziehungspartner*innen reflektiert, ohne sich daran zu orientieren, wie es alle anderen machen. Weg mit ewig alten normativen Verhaltensmustern und her mit offenem Dialog.

Einer meiner Freunde hat in den 17 Jahren, in denen er sexuell aktiv ist, nie mit seinen Sexualpartnerinnen darüber gesprochen, wie es sein Gegenüber gern möchte. Nach einer langjährigen Beziehung wurde er beim Küssen in einer Bar darauf angesprochen, dass er gar nicht so gut küsse. Seine Antwort: „Ich küss’ vielleicht nicht so gut, aber im Bett hab‘ ich’s ziemlich drauf!“ Sein Gegenüber fand das lustig, ging mit ihm nachhause und teilte ihm mit, dass er auch im Bett nichts drauf hätte, bot ihm aber eine zweite Runde an, bei der sie genau beschrieb, wie und wo sie gerne berührt wird und voilà, seitdem spricht er plötzlich über Sex. Mit mir, seinen Partner*innen (ja, jetzt auch Männer mit gemeint) und scheint ein zufriedenerer Mensch zu sein. Manchmal braucht es eben einen Auslöser, um das eigene Sexualleben zu hinterfragen.

Angelo Bronzino - Allegorie der Liebe
Angelo Bronzino – Allegorie der Liebe

Ich hatte einen ähnlichen Moment, der mich dazu bewogen hat, mit meinem Partner über das Aufbrechen unserer monogamen Lebens- und Liebensweise zu sprechen. Kurz gesagt: Wir leben nun eine offene Beziehung. Beim Gespräch ging es mir nicht darum zu signalisieren, dass mir etwas an unserer Beziehung fehlt. Mein Leitgedanke war und ist vielmehr, Liebe, Sex und romantische Momente nicht nur mit einer Person zu teilen, sondern sie zu potenzieren, wann auch immer man darauf Lust hat. Liebe ist Ausdruck tiefster Wertschätzung. Sie ist die stärkste Form der Hinwendung und kann für andere Lebewesen, Dinge, Tätigkeiten, Ideen oder was auch immer, aufgebracht werden. Ich kann ein zutiefst romantischer Mensch sein, an die ewige und unendlich tiefgründige Liebe glauben, mein ganzes Leben mit der einen Person verbringen wollen und trotzdem auch eine Bekanntschaft küssen, wenn es sich richtig anfühlt und einvernehmlich ist. Ich kann danach mit einem Kribbeln im Bauch heimspazieren, mich an meinen Partner schmiegen und zusammen einschlafen. Uneingeschränkt empfehlen möchte ich dieses Modell trotzdem niemandem, weil jeder Mensch andere Dinge braucht und Liebe nicht für jede*n das Gleiche bedeutet. Ungeachtet dessen, möchte ich ein paar Gedanken teilen, wie mein Partner und ich vorgegangen sind und wo wir jetzt stehen.

Angelo Bronzino - Allegorie der Liebe
Angelo Bronzino – Allegorie der Liebe

Es gibt Phasen, in denen sich alles wunderschön anfühlt, wir durch die Stadt spazieren und über unsere Beziehung philosophieren, und manchmal ist es einfach nur anstrengend und Eifersucht stülpt sich über alle meine Gedanken. Wir haben uns anfangs eine Million Regeln aufgestellt (Finger weg von Ex-Partner*innen, nahen Freund*innen und Menschen in monogamen Beziehungen, auf einer Party, zu der wir zusammen gehen, nicht vor den Augen des/der anderen rummachen, …), um sie recht schnell wieder zu verwerfen, weil sie letztlich doch wieder zu restriktiv waren. Wir haben vorab auch geklärt, ob wir einander von den Ausflügen des/der anderen erzählen werden (ich will’s wissen, er wiederum nicht). Schlussendlich fokussieren wir uns jedoch auf die wichtigste Regel: Solange unsere Beziehung zueinander „stabil“ ist, wir aufrichtig zueinander sind, Hinwendung, Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeiten füreinander aufbringen, ist alles gut. Wenn das bedeutet, dass wir 70 Prozent der Zeit monogam leben und 30 Prozent polygam, dann ist das auch in Ordnung und kann im nächsten Monat wieder anders aussehen. Rosseau hat einmal geschrieben, dass man beim Schreiben eines Liebesbriefes anfangen muss, ohne zu wissen, was man sagen will, und endigen, ohne zu wissen, was man gesagt hat. Direkt aus dem Herz auf die Tastatur.


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