Sterben nach eigenem Wunsch – Sterbehilfe in Österreich

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Nach wochenlangen Beratungen hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) über das Verbot der Sterbehilfe entschieden. Auch wenn er in seinem Urteil noch vorsichtig voranschreitet, bedeutet die Entscheidung dennoch eine große Veränderung in Richtung selbstbestimmtes Leben und Sterben. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen.

Beihilfe zum Suizid erlaubt

Mit der Entscheidung des VfGH wird die Beihilfe zum Suizid, welche bis jetzt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden konnte (§ 78 StGB), erlaubt. Das heißt, es ist nun möglich, einer Person, die sich selbst das Leben nehmen will, dabei zu helfen. Man kann diesem Menschen so auch Möglichkeiten bieten, dies zu seinen eigenen Bedingungen und auf eine selbst gewählte Weise zu tun. Das bedeutet einen großen Schritt hin zu größerer Selbstbestimmung.

„Zur freien Selbstbestimmung gehört zunächst die Entscheidung des Einzelnen, wie er sein Leben gestaltet und führt. Ebenso gehört dazu aber auch die Entscheidung des Einzelnen, ob und aus welchen Gründen er sein Leben in Würde beenden will. All dies hängt von den Überzeugungen und Vorstellungen jedes Einzelnen ab und liegt in seiner Autonomie.”

Die betreffenden Gesetzesstellen – §77 und §78 StGB – wurden von vier Antragstellern, darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt, dem VfGH zur Überprüfung vorgelegt. Sie gingen von einer Verfassungswidrigkeit aus, da die Gesetze leidende Menschen dazu zwingen würden, entweder unwürdige Verhältnisse zu ertragen oder Hilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen. Wobei sogar die Unterstützung dabei, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, strafbar wäre. Letztendlich hatten sie zwar betreffend der Beihilfe zum Suizid Erfolg, ganz durchdringen konnten sie mit ihren Forderungen aber nicht.

Tötung auf Verlangen verboten

Ganz so weit wie andere Staaten geht der Gerichtshof nämlich nicht. Die Tötung auf Verlangen bleibt weiterhin verboten. Den letzten Schritt zur Beendigung des Lebens, muss der Mensch, der sich zum Sterben entschlossen hat, also weiterhin selbst setzen. Derart aktive Sterbehilfe gibt es in den Benelux-Staaten, auch dort aber unter strengen Voraussetzungen.

Gründe des Gerichtshofes

Der VfGH begründet sein Erkenntnis damit, dass er ein Recht jedes/jeder Einzelnen auf freie Selbstbestimmung anerkennt. Dieses umfasst nicht nur ein Recht darauf, über das eigene Leben selbst zu bestimmen, sondern auch über das eigene Sterben. Jede*r Einzelne soll selbst entscheiden können, ob und wie er/sie aus dem Leben gehen will. Da dafür oft die Hilfe einer dritten Person notwendig ist, soll der Gesetzgeber dies nicht verbieten. So soll ein Sterben in Würde und Autonomie ermöglicht werden.

Verlängerung des Lebens

Der Gerichtshof sieht in der Legalisierung des assistierten Suizids, auch die Möglichkeit, das Leben von Betroffenen zu verlängern. Wenn diese wissen, dass sie im Ernstfall den Zeitpunkt und die Art ihres Todes frei wählen werden und Hilfe bekommen können, werden sie weniger oft dazu gezwungen sein, voreilig menschenunwürdige Arten zur Beendigung des eigenen Lebens zu wählen.

Die letzte Entscheidung

Wichtig ist bei all diesen Überlegungen, dass diese letzte Entscheidung auch wirklich selbst und ohne Beeinflussung getroffen wird. Gerade darin sehen Kritiker der Sterbehilfe eine große Gefahr. Insbesondere kranke und alte Menschen sollen nicht zu diesem Schritt gedrängt werden, oder auch nur das Gefühl bekommen, dies zum Wohle der Gesellschaft oder der Entlastung ihrer Angehörigen tun zu müssen. Auch Menschen, die an behandelbaren psychischen Krankheiten leiden, müssen vor voreiligen Entschlüssen geschützt werden, ohne ihre Autonomie dabei einzuschränken. Hier muss jedenfalls mit großer Vorsicht gehandelt werden. Der Staat wird sich gut überlegen müssen, wie überprüft werden kann, ob jede*r auch tatsächlich aus freien Stücken handelt, und ob dabei das Selbstbestimmungsrecht gewahrt bleibt. Der Gerichtshof sieht hier den Gesetzgeber ausdrücklich in der Pflicht, Maßnahmen zu setzen, um Missbrauch vorzubeugen.

 

Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs am 24.09.2020
Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs am 24.09.2020 ©VfGH/Katharina Fröschl-Roßboth

Weitere Fragen noch offen

Wie diese neue Möglichkeit der Sterbehilfe genutzt werden wird und wie der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang kontrollierend eingreifen wird und kann, ist noch offen. Wird es die Möglichkeit von kommerziellen Sterbehilfevereinen, wie man sie in der Schweiz oder in Deutschland findet, geben? Welche Kontrollmöglichkeiten gibt es, um aufgeklärte und freie Entscheidungen zu ermöglichen? Diese und andere Fragen werden uns noch weiterhin beschäftigen. Die Entscheidung des VfGH stellt jedenfalls einen wesentlichen Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung und zum Schutz der Würde jedes Einzelnen dar.

Juristin aus Wien, immer auf der Suche nach Antworten und Fragen.

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