marten mcfly kolumne

Wie Rapper*innen zu ihren Namen kommen

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In dieser Kolumne betrachtet unser Kolumnist Marten McFly die große bunte Welt des Deutschrap. Er will euch überraschende Einblicke, versteckte Perlen und durchdachte Kritik nahebringen. Diesen Monat ruft Marten neue Bands und Künstler*innen dazu auf, sich an ihren Idolen abzuarbeiten.

Band- und MC-Namen im Deutschrap haben für mich seit Ewigkeiten etwas Magisches. Rapper*innen geben sich oder ihrer Band meist als Teenager einen Namen, der im besten Fall eine ganze Kariere lang halten soll. Als ich Ende der 1990er Jahre im Deutschrap aktiv wurde, waren Namen dominant, die modische HipHop-spezifische Adjektive wie flow oder fett in sich trugen. Als prominentestes Beispiel, das man heute vielleicht noch kennt, dient „Fettes Brot“. Dass meine erste Band „Flow im Ohr“ hieß, ist daher kein Zufall. Die vor Fremdscham getränkten Wortspiele, die so bei unzähligen Band- und MC-Namen entstanden, wurden erst durch die nächste Generation als peinlich gekennzeichnet.

Der hübscheste Namenstrend huldigt den eigenen Klassikern

Abgelöst wurde diese Generation von einigen Rapper*innen, die sich mit ihren deutschen Durchschnittsnamen an prominente Vorbilder angelehnten: Timi Hendrix, Jan Delay, Brenk Sinatra, James Spont (aka Spontan). Der kleine Marten aus Hamburg hat sich von nun an Marten McFly genannt, um ein bisschen Coolness von Marty McFly aus „Zurück in die Zukunft“ abzubekommen. Man könnte ein dickes Buch über die weiteren Ausprägungen von all den von Anglizismen geprägten Namen schreiben. Ich hoffe, dass sich endlich jemand mit viel Geduld und Zeit diesem Thema ausführlich widmen wird. Für mich entwickelte die Deutschrap-Namensgebung die höchste Form der Schönheit, als sie selbstreferenziell wurde. Ab einem bestimmten Moment in den 2000ern wurde es Mode, sich auf die eigenen Klassiker im Deutschrap zu beziehen – um diesen zu huldigen, um sich von diesen abzugrenzen oder um den Ursprungsnamen ins Absurde zu führen.

Kool Savas und Taktloss prägten mit ihrem Projekt „Westberlin Maskulin“ eine neue Mode von deutlich aggressiverem Deutschrap. Eine ganze Generation von Rapper*innen arbeitete sich fortan an dieser Epochenwende ab. 2008 gründen Fler und Godsilla (heute Silla) die Formation „Südberlin Maskulin“. 2010 entstand sich die Band „Zugezogen Maskulin“ und 2017 komplimentierte „Ostberlin Androgyn“ bis auf Weiteres diese Namensreihe. Die Motivation ging dabei von Anlehnung bis Abgrenzung. Auch für Alben-Namen hat Deutschrap eine ähnlich schöne Geschichte vorzuweisen. Marsimoto nennt 2012 sein Album „Grüner Samt“ und zieht damit eine direkte Verbindung zum Klassiker „Blauer Samt“ vom Rapper Torch (2000). Sookee zieht 2014 mit „Lila Samt“ nach und 2015 beenden Audio 88 und Yassin diese ungeplante Serien mit ihrem Album „Normaler Samt“.

Ein alter Hut

Die Maskulin- und Samtgeschichte sind nur zwei Beispiele in einer langen Reihe. Als aktuellstes Beispiel habe ich nun von der Wiener Formation „FEMME DMC“ gehört, die sich von „Run-DMC“ phonetisch kaum noch unterscheidet. Auch einzelne Zeilen von Deutschrap-Klassikern wurden in den letzten Jahren unzählige Male zitiert, umgewandelt und in neue Zusammenhänge gestellt. Dennoch ist dieser Trend mittlerweile leider abgeebbt. Die Generation der heute 17 bis 27-jährigen bevorzugt meist kryptische Namen ohne direkte Anknüpfungspunkte zur Deutschrap-Geschichte.

Zuhörer*innen gehen den zweiten vor dem ersten Schritt

Ein Teil von mir findet das sehr schade. Diese Selbstreferenzen boten neuen Hörer*innen im Deutschrap die Möglichkeit, in der Mitte eines langen Filmes einzuschalten und sich langsam die Hintergründe dieser Geschichte zu erarbeiten. Es gab garantiert nicht wenige Hörer*innen, die um 2017 herum begeisterte Anhänger*innen von „Zugezogen Maskulin“ wurden, ohne den Hintergrund des Namens zu kennen. In solchen Situationen vollbringt der Kopf dann wunderbare Dinge. Er schließt die Lücke mit Phantasie. Für jede/jeden „Zugezogen Maskulin“-Anhänger*in wird dieser Bandname vollkommen Sinn ergeben, ob durch eine konkrete Geschichte, die man sich vorstellt, oder auch einfach vom Gefühl her. Wie zauberhaft und groß ist dann erst der Moment, wenn diese Person von „Westberlin Maskulin“ erfährt?

Ein Album namens Bernd

Ich hatte einen solchen Moment mit einer Rap-Zeile, deren Bedeutung ich erst vor Kurzem verstanden habe. 2003 veröffentlichten Kool Savas und Eko Fresh mit „Renexekution“ einen Disstrack gegen MC Rene. Dort rapt Eko die Zeile „keiner nimmt dein Album erst, du nennst dein Album Bernd“. Mir war damals klar, dass niemand ernsthaft sein Album „Bernd“ nennen würde. Aber da der Track so genial war, hat mein Kopf nach Gründen gesucht, warum auch diese Zeile gut sein muss. Nach einiger Zeit nahm ich diese merkwürdige Behauptung als Charakterstudie wahr. Was für ein Mensch muss man sein, um sein Album „Bernd“ zu nennen? Ich habe es dann als überzogenes, aber legitimes Bild angenommen und fand es gut. Vor kurzem habe ich festgestellt, dass MC Rene im Jahr 2000 tatsächlich ein Album mit dem Namen „Ein Album Namens Bernd“ veröffentlicht hat. Die Zeile von Eko ergab also plötzlich Sinn. Da ich mir bis dahin aber schon selbst einen Sinn zusammengebaut hatte, war ich positiv verwirrt und fing  an, über meine Gedankengänge zu reflektieren.

Schöne Zeit vorbei?

Leider bin ich kein mächtiger Deutschrap-Diktator, der die neuen Generationen dazu zwingen kann, sich auf Grundlage ihrer Idole zu benennen oder deren Einfluss in ihren Texten sichtbar zu machen. Aber zumindest ein kleiner Apell sollte drin sein: Liebe neue Künster*innen. Wir freuen uns auf das, was ihr zu Deutschrap beisteuern werdet. Ich wünsche euch viel Mut auf diesem spannenden Weg. Bitte lehnt euch an das an, was euch prägt. Zeigt uns direkt oder indirekt, was euch bisher in dieser verrückten Deutschrap-Welt beschäftigt hat. Ganz egal, ob euer Publikum das mag oder überhaupt kennt. Wenn wir diese Bezüge nicht kennen, aber euch mögen, werden wir schon einen Weg finden, es zu mögen.

 

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