„Es ist einfach wirklich eine Herzensangelegenheit“ – Interview mit Nikolas Karner

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2016 haben es sich Nikolas Karner und seine Mitstreiter zum Ziel gemacht, Menschen mit Behinderungen in Österreich den Weg in den Sport zu erleichtern und den Verein SPIELERPASS gegründet. In den letzten vier Jahren hat es die Organisation mit ehrenamtlichen und vielfach ausgezeichneten Projekten geschafft, hunderte Menschen mit Behinderungen für den Fußball zu begeistern, sie in Sportvereine zu integrieren und das gesellschaftliche Bewusstsein für Inklusion im Sport zu schärfen.


Was hat dich inspiriert SPIELERPASS zu gründen?

Das hat mit meiner Lebensgeschichte zu tun: Als ich in der Volksschule war, sind wir von Wien aufs Land gezogen. Mein erster Freund in meiner neuen Ortschaft hieß Felix und hatte eine Behinderung. Mit ihm habe ich bei uns im Garten regelmäßig Fußball gespielt und sehr viel Zeit verbracht. Dadurch ist vom ersten Tag an eine innige Freundschaft entstanden. Von da an habe ich bemerkt, wie wichtig Fußball zur Förderung von Inklusion sein kann. Später hat mich mein Lebensweg für drei Jahre nach Deutschland verschlagen. Dort habe ich leistungsmäßig Fußball gespielt. Dabei hatte ich immer im Hinterkopf, dass es für Menschen mit Behinderungen weitaus mehr Angebote geben sollte. 2017 haben wir dann zum ersten Mal den SPIELERPASS CUP in Wien organisiert. Es war als kleines Fußballturnier mit 6 Teams geplant. Nachdem es aber dann ein großer Erfolg wurde, haben wir gemerkt: Das ist der richtige Schritt. Beim letzten SPIELERPASS CUP 2019 waren es bereits 16 Teams.

Hinter unserer ehrenamtlichen Arbeit steckt viel Leidenschaft. Für mich persönlich ist es einfach wirklich eine Herzensangelegenheit meinem Freund Felix zuliebe. Ich bin mit ihm immer noch sehr gut und bekomm dadurch viele Einblicke. Ich schöpfe daraus sehr viel Kraft, und es macht mir Freude, Menschen für den Fußball zu begeistern.

Wie bist du auf den Namen SPIELERPASS gekommen?

Die Erklärung ist ganz einfach: Wenn man einem Fußballverein beitritt und beim ÖFB als Spieler*in gemeldet wird, bekommt man einen Spielerpass. Mit diesem Dokument wird man also offiziell Teil einer Gemeinschaft. Unser Ziel ist es, dass auch Menschen mit Behinderungen in Vereinen sozialen Anschluss finden und ein gleichwertiger Teil dieser Gemeinschaften werden. Der SPIELERPASS ist also gleichermaßen Eintrittskarte wie Bindeglied – darum der Name. Und mit dem Slogan „Daheim im Verein“ hat sich das dann perfekt ergänzt.

Nikolas‘ Kindheitsfreund Felix inspirierte ihn, Fußballangebote für Menschen mit Behinderungen zu schaffen ©Mila Zytka

Für euer Projekt DAHEIMKICKER wurde ÖFB-Nationalspielerin Nina Burger auf der Sporthilfe-Gala mit dem „Sportlerin mit Herz-Preis“ ausgezeichnet. Worum geht es bei dem Projekt?

Mein Freund Felix hat auch bei diesem Projekt eine wesentliche Rolle gespielt. Wir waren während des ersten Lockdowns regelmäßig via FaceTime in Kontakt. Er durfte damals – wie viele weitere Menschen mit Behinderungen – seine Wohngemeinschaft nicht verlassen und auch nicht am Fußballplatz trainieren. Eines Tages stand er während unseres Video-Calls im Garten seiner Wohngemeinschaft. Und da kam mir die Idee zu DAHEIMKICKER: Theoretisch könnte man ja ein Fußballtraining im Garten machen, ohne dass man die Fläche der Wohngemeinschaft betritt und direkten Körperkontakt mit den Spieler*innen hat.

Nur zwei Tage später haben wir im Garten seiner Wohngemeinschaft im Waldviertel das erste Training organisiert. Wir haben daraufhin so viel positives Feedback bekommen, dass wir uns gedacht haben: Passt, wir machen ein Crowdfunding. Das war die einzige Möglichkeit uns zu finanzieren, aber das hat dann sehr gut funktioniert und uns sehr viel Mut gegeben weiterzumachen. Binnen weniger Wochen konnte das Projekt auf 20 vollbetreute Wohngemeinschaften in 5 Bundesländern ausgeweitet werden. Dort haben wir dann wirklich wöchentlich kostenloses Fußballtraining für die Bewohner*innen angeboten. Das war für unsere Kicker*innen eine wichtige Abwechslung im Corona-Alltag. Natürlich hatte das Projekt auch das nachhaltige Ziel, so viele Spieler*innen wie möglich in weiterer Folge in bestehende Fußballvereine zu integrieren. Das ist uns sehr gut gelungen.

Das ist natürlich ein total aufwendiges Projekt und es ist extrem wichtig, dass alle Leute an einem Strang ziehen: Neben der jeweiligen Bundeslandleitung der Trägerorganisation mussten auch die Leitung sowie die Betreuer*innen der Wohngemeinschaften voll hinter dem Projekt stehen. Außerdem waren die unterschiedlichen Sicherheitsbestimmungen in jedem Bundesland eine große Herausforderung bei der Planung und Koordinierung. Insgesamt ist es uns aber sehr gut geglückt und wir haben auch von den Trägerorganisationen viel Wertschätzung für unser Engagement bekommen, was uns sehr freut.

Wie sieht so ein DAHEIMKICKER-Training aus?

Der Trainer oder die Trainerin kommt mit den Trainingsutensilien, also mobilen Toren, Fußbällen, Hütchen und Leibchen in die Wohneinrichtung. Dann kommt es sehr stark darauf an, auf welchem koordinativen und konditionellen Niveau sich die Kicker*innen befinden. Wenn der Förderungsbedarf sehr groß ist, macht man vorrangig einfache koordinative Übungen. Wir hatten etwa Spieler*innen, die nur mit Unterstützung alleine gehen konnten. Genauso hatten wir Fußballtalente mit einer super Kondition und großen Ambitionen. Wie eine sehr talentierte Spielerin, die gleich am ersten Tag sagte, dass sie eines Tages in der Frauenbundesliga spielen möchte – und seit ihrem ersten Training mit vollem Einsatz dabei ist. Und natürlich kommt es auch immer stark darauf an, wieviel Platz wir haben. Meistens machen wir mit den Kicker*innen Stationentraining, also wir üben Parcours, aufs Tor schießen, aber auch die Basics wie Hampelmann oder Armekreisen. Das sind Dinge, die viele von ihnen nicht erlernt haben, auch, weil es in ihren Einrichtungen leider oft zu wenig regelmäßigen Sport oder koordinatives Training gibt. Wir sehen das DAHEIMKICKER-Training als ideales Aufbautraining, um anschließend im Verein von Beginn an mithalten zu können.

Habt ihr vor, das Projekt auf weitere Bundesländer auszuweiten?

Wir sind gerade in der Evaluierung, es kommt natürlich stark darauf an, wie es mit den Corona-Maßnahmen im nächsten Jahr weitergeht. Natürlich ist es unser Ziel, das Projekt weiterzuführen, weil wir davon überzeugt sind, dass wir dadurch viele Menschen für den Fußball gewinnen können. Am liebsten würde ich das Projekt österreichweit anbieten. Das kommt aber auf viele Faktoren an, wie die Finanzierung oder die Corona-Sicherheitsregeln.

Welche Erfahrungen habt ihr mit Crowdfunding gemacht? Wie ist es euch da gelungen, Leute zu erreichen?

Das Gute ist, dass wir es geschafft haben, uns in den letzten Jahren eine große Supporter-Community aufzubauen, die uns auf unterschiedlichen Ebenen stark unterstützt. Die war maßgeblich am Erfolg des Crowdfunding beteiligt. Außerdem ist es wichtig Leute zu kontaktieren, im Freundes- und Bekanntenkreis zu werben und via Social Media auf das Projekt aufmerksam zu machen. Crowdfunding ist kein Sprint, es ist ein Marathon! Die Idee, die Konzeption und das Online-Stellen der Kampagne ist in etwa ein Prozent des gesamten Aufwands. Die restlichen 99 Prozent sind wirklich viel harte Arbeit.

Bekommt SPIELERPASS auch Förderungen oder finanziert ihr alles über Crowdfunding?

Förderungen bekommen wir keine. Aber es stecken natürlich zigtausende ehrenamtliche Stunden drin. Wir wollen ja ganz bewusst nicht davon leben, weil man dann mit einer ganz anderen Einstellung reingeht und die Projekte anders planen muss. Wir sehen uns als Start-Up, planen immer projektbezogen und haben demnach auch bewusst keine hohen Fixkosten. Es freut uns immer, wenn uns Spender*innen unterstützen und wir für unser Tun dadurch Anerkennung finden. Denn bei uns fließt jeder Euro in das nächste Projekt.

Die ehrenamtlichen Projekte von SPIELERPASS wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2018 mit dem „Vorbild Barrierefreiheit“-Preis des Bildungswerks Niederösterreich ©Mila Zytka

Bekommst du auch mit, wie es euren Kicker*innen jetzt mit dem zweiten Lockdown geht?

Ja, sicher. Es fehlt ihnen der Sport und das Zusammenkommen mit Personen außerhalb der Wohngemeinschaften. Oft haben sie in ihren Einrichtungen auch keinen Rückzugsort, keine Ruhe. Im Gegensatz zum ersten Lockdown erschwert die Kälte jetzt sehr viel. Man ist gezwungen, drinnen zu bleiben. Und natürlich kommt permanent die Frage von den Spieler*innen: „Wann trainieren wir?“. Wir haben aber auch einige Spieler*innen verloren durch den Lockdown.

Was macht dir am meisten Spaß an deiner Arbeit mit SPIELERPASS?

Alles! Mir macht es einfach Spaß, Menschen für den Fußball zu begeistern und ihre Entwicklung mitzuerleben. Normalerweise veranstalten wir auch zweimal im Jahr inklusive Clubbings in Wien und da freut es mich dann umso mehr, wenn unsere Gäste mit strahlenden Augen, einem breiten Grinsen und unvergesslichen Momenten nach Hause gehen.

Was ist für dich das Herausforderndste an deiner Arbeit mit SPIELERPASS?

Die größte Herausforderung ist es, den Kopf ausschalten zu können und für eine gewisse Zeit nichts zu tun. Es ist nämlich kein „gewöhnlicher“ Job, wo man nach Dienstschluss alles liegen lassen kann. Und es ist auch kein Vollzeitjob, wo man täglich acht Stunden arbeitet. Viele Ideen, Konzepte und Lösungen entstehen nicht auf Knopfdruck und brauchen manchmal auch sehr viel Zeit und Geduld.

Was sind eure Ziele für 2021?

Das Wichtigste ist, dass wir alle gesund durch die Corona-Zeit kommen. Natürlich können wir im Moment nur begrenzt Aktivitäten planen. In der Zukunft sehe ich SPIELERPASS aber auch als eine Institution, wo Menschen mit Behinderungen wirklich coole Jobs im Sportbereich machen können. Dafür ist das Ganze ja eigentlich da, dass Menschen mit Behinderungen eine Chance bekommen, im Fußball zu arbeiten. Gemäß der Fußballweisheit „Wir werden die Winterpause nutzen, um noch stärker in die Rückrunde zu starten“, werden auch wir uns für 2021 bestmöglich rüsten. Man darf also gespannt sein.

 

Weitere Infos: www.SPIELERPASS.at

Auszeichnungen:

  • Wiener Jugend Friedenspreis 2018
  • Niederösterreich Vorbild Barrierefreiheit 2018
  • ÖFB-Social Football Award 2020
  • Orte des Respekts Publikumspreis 2020
  • Sporthilfe Publikumspreis „Sportler mit Herz“ 2020

 

 

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