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Gewaltschutzpaket 2019 – Symbolpolitik oder echter Schutz?

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Das 2019 erlassene Gewaltschutzpaket soll vermeintlich besonders Frauen vor Gewalt schützen. Expert*innen warnen aber vor dessen negativen Folgen.

Gewaltschutz ist ein in der Politik oft beliebtes Thema zum Stimmenfang, denn Härte gegenüber Verbrecher*innen kommt bei vielen Wählergruppen gut an. Denn was kann schon falsch daran sein, mit strenger Hand gegen gefährliche Gewaltverbrecher*innen vorzugehen? So einiges, meinen Expert*innen.

Entstehung eines fragwürdigen Gesetzes

Regelungen zum Gewaltschutz sind auch in den Fokus der vergangenen Schwarz-Blauen Regierung gerückt. Kurz vor deren Auflösung in Folge des Ibiza-Skandals, haben diese noch ein umfangreiches Paket zur Bekämpfung von Gewalt ausgearbeitet. Laut FPÖ und ÖVP sollen die Änderungen Frauen und Kinder besser vor Gewalt schützen. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen wurden von einer Reihe von Expert*innen aber sehr kritisch aufgenommen. Eine große Zahl von Organisationen und Einzelpersonen aus einschlägigen Feldern erklärten ihre Ablehnung mehrerer Punkte der Gesetzesnovellen. Unter den Kritiker*innen befanden sich unter anderem die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, Gewaltschutzzentren Österreichs, die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, der Österreichische Frauenring und viele weitere Institutionen, welche regelmäßig mit der Vollziehung der Gewaltschutzgesetze in der Praxis zu tun haben. Auch Justizminister Jabloner machte in einer Rede im Parlament seine Skepsis gegenüber der geplanten Reform deutlich und sprach sogar von einem “zivilisatorischem Rückschritt”. Trotzdem wurde das Gewaltschutzpaket am 25.09.2019 mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ im Nationalrat beschlossen, während die vormaligen Oppositionsparteien dagegen stimmten.

Kritik von vielen Seiten

Besonders kritisiert wurde die geplante Erhöhung von Strafen für gewisse Gewaltdelikte. Expert*innen bezweifeln, dass durch solche Maßnahmen Straftaten mehr als nur minimal verringert werden können. Für einen solchen Effekt gibt es keine Nachweise. Auch wird der Strafrahmen bei Verurteilungen selten ausgeschöpft, was eine Erhöhung dieses bestenfalls sinnlos erscheinen lässt. Eine Erhöhung der Strafe kann aber nicht nur überflüssig sein, sondern sogar auch negative Folgen haben. So ist zu befürchten, dass Opfer von Gewalttaten durch massive Sanktionen davon abgeschreckt werden, Anzeige zu erstatten. Dies insbesondere wenn die Täter*innen wie bei vielen Gewalttaten zu ihrem Familienkreis gehören. Die Anzeigen und die Verurteilungsraten sind bei Gewalttaten sehr gering, dem wird durch die ergriffenen Mittel nicht abgeholfen.

Jugendliche als Täter*innen

Auch im Jugendstrafrecht sind stark kritisierte Änderungen vorgesehen. Für einige Straftaten sollen Jugendliche zukünftig die gleichen Strafen erhalten wie Erwachsene. Auch dies kann voraussichtlich nicht zu einer Verringerung von Straftaten führen, sondern wird eher Anzeigen verhindern. In diesem Bereich sind oft die Eltern die Einzigen, die die Möglichkeit haben, kriminelle Tätigkeiten ihrer Kinder zu erkennen. Eine Erhöhung potentieller Strafen kann ihre Bereitschaft, Anzeige zu erstatten erheblich mindern. Die gewählte Vorgehensweise steht außerdem dem grundsätzlichen Bestreben entgegen, gerade bei Personen die sich noch im heranwachsendem Alter befinden, die Resozialisierung in den Vordergrund zu stellen. Gerade im Jugendalter können hohe Strafen eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft endgültig verhindern. Und das obwohl zu diesem Zeitpunkt noch die höchste Chance besteht, Jugendliche und junge Erwachsene vor einem weiteren Abdriften in die Kriminalität zu bewahren.

Anzeigezwang in der Gesundheitsbranche

Ein weiterer von einigen als problematisch gesehener Punkt des Pakets ist, dass die Anzeigepflicht von medizinischen und therapeutischen Berufen ausgeweitet wird. Befürchtet wird, dass Opfer die nicht bereit sind Anzeige zu erstatten, deshalb überhaupt keine medizinische Hilfe mehr suchen, was schwere gesundheitliche Folgen haben kann. Auch wenn mehr Anzeigen zu begrüßen wären, sollte die endgültige Entscheidung dazu, sich in diesen beschwerlichen Prozess zu begeben, in der Hand der Opfer liegen. Nachdem sie bereits Opfer von Gewalt geworden sind, werden sie sonst in eine weitere Situation gedrängt über die sie nicht bestimmen und über die sie keine Kontrolle haben. Das kann traumatisch sein. Sinnvoller wäre es, potentielle Betroffene von Gewalt an Opferschutzeinrichtungen zu verweisen, die ihnen helfend zur Seite stehen können.

Frauen und Gewalt

Besonders Organisationen mit Fokus auf frauenpolitische Themen äußern große Besorgnis hinsichtlich der Änderungen, da Gewaltschutz ein Thema ist, das nicht nur, aber vor allem Frauen verstärkt betrifft. Die Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern des Österreichischen Instituts Familienforschung (ÖIF) zeigte erschreckende Zahlen. Demnach erleben nahezu ein Drittel aller Frauen sexuelle Gewalt. Die Täter*innen sind hingegen fast ausschließlich männlich. Besorgniserregend sind vor allem aber die hohen Dunkelziffern und extrem geringen Anzeigequoten. Nur 6,8 % der Frauen mit sexueller Gewalterfahrung erstatten Anzeige. Weniger als 20 % der Anklagen führen letztendlich zu einer Verurteilung. Offensichtlich muss hier noch einer weiter Weg beschritten werden. Der derzeit gewählte wird nach Fachmeinungen aber wohl nicht zum Ziel führen.

Lösungsansätze

Zur Verbesserung der vorherrschenden Zustände verlangen Expert*innen unter anderem, dass die Ermittlung und Beweissicherung verbessert wird und fordern dafür mehr Ressourcen für die Justiz. Massenabfertigungen als Folge von gestressten und überforderten Beamt*innen verhindern die individuelle Beschäftigung mit jedem Fall. Auch ein Ausbau der Unterstützung von Opfern wird als dringend notwendig empfunden um diese angemessen durch den schwierigen Prozess eines Gerichtsverfahrens zu begleiten. Staatsanwält*innen sollen außerdem zusätzliche Schulungen zum Thema Gewalt erhalten, auch über die geschlechterbasierten Aspekte von Gewalttaten. So können sie für den Umgang mit solchen Fällen sensibilisiert werden. Auch eine Stärkung der Position des Opfers im gesamten Strafverfahren wird gefordert. Dies soll das Gefühl der Machtlosigkeit verringern, welches sich bei unserem jetzigen System schnell einstellt.

In Anbetracht dieser umfassenden und fundierten Kritik, bleibt die Frage offen, wieso diese von den vormaligen Regierungsparteien ignoriert wurde. Tatsache ist, dass unter der Schwarz-Blauen Regierung zahlreichen bewährten Projekten mit dem Ziel Frauen vor Gewalt zu schützen, Fördermittel gekürzt oder gestrichen wurden. Angesichts dessen ist es jedem selbst überlassen zu entscheiden, ob die Behauptung, Frauen und Kinder effektiv vor Gewalt schützen zu wollen, glaubwürdig ist oder ob es sich hier nur um den Versuch handelt, Wählerstimmen zu gewinnen. Sowohl Opfer, als auch Täter*innen müssen mit den Entscheidungen nun jedenfalls leben. Es wird sich noch zeigen, welche Auswirkungen sie haben werden und ob die negativen Einflüsse, die die Fachkräfte befürchten, eintreffen werden oder nicht.

Juristin aus Wien, immer auf der Suche nach Antworten und Fragen.

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