kein mensch ist illegal

Heimat großer Töchter, außer wir schieben sie ab

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Das erste Mal, dass mich Ungerechtigkeit auf die Straße getrieben hat, war 2007. Als Arigona Z. und ihre Familie in den Kosovo abgeschoben werden sollten, war ich elf Jahre alt. Die Tragweite des Asylfalls konnte ich nicht verstehen. Nur, dass es sich falsch anfühlte, ungerecht. Es war meine erste Demonstration und der Beginn meiner Politisierung. Die Grünen organisierten den Protest für ein humanitäres Bleiberecht. Heute sitzen sie in der Regierung. Daran, dass Kinder weiterhin mitten in der Nacht abgeschoben werden, hat sich nichts geändert. Menschen, die diese Abschiebungen als unmoralisch und unmenschlich empfinden, gehen immer noch dagegen auf die Straße. Organisiert und getragen werden die Proteste heute von anderen.

Verantwortung statt Bedauern

Als progressiver Mensch in Österreich erwartet man von den Grünen ohnehin nicht mehr viel. Die versprochenen roten Linien wurden seit Beginn der Koalitionsverhandlungen überschritten, ausgedehnt, uminterpretiert oder einfach vergessen. Dass Vizekanzler Werner Kogler die Abschiebung der Mädchen unmoralisch und unverantwortlich empfindet, ist schön. Angesichts dessen, dass er und seine Partei solche Handlungen aus einer Koalition heraus mittragen und mitzuverantworten haben, ist es aber ebenso zynisch. Bedauernde Pressemitteilungen grüner Politiker*innen ändern genauso wenig wie die verzweifelten Versuche, in unseren Netzwerkblasen Aufmerksamkeit zu erzeugen. In der letzten Sonntagsfrage kommt die Volkspartei auf 37%. So viele Österreicher*innen sind bereit, diese Verantwortungslosigkeit mitzutragen. Das ist die bittere Realität.

Wie wir sind

Österreich sitzt in seinem Schrebergarten, wartet auf ein Ende des Lockdowns, geht dazwischen ein bisschen Skifahren und zuckt mit den Schultern, wenn Minderjährige in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgeschoben werden. So ist dieses Land. Alle schönfärberischen Versuche diese Realität anders darzustellen, überzeugen nicht mehr. Wir haben oft versucht, zu betonen, dass wir so oder so nicht sind. Doch wir sind so.

Wir rechtfertigen negative Asylbescheide lieber mit juristischem Geschwurbel, als emotionale Debatten zuzulassen. Wir rationalisieren Unmenschlichkeit. Wir abstrahieren Schicksale, ohne jede Fähigkeit zur Empathie. Natürlich gibt es auch die andere Seite Österreichs. Doch der Ton wird von denen angegeben, die aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten keine Alternative sehen wollen. Dass Rechtmäßigkeit aber grundsätzlich wenig mit Moral zu tun hat, will ich nicht immer wieder erklären müssen.

Tina, Lea, Sona, Ashot

Bleibt einem viel anderes übrig, als sich von der kleingeistigen Überheblichkeit der österreichischen Mentalität angewidert abzuwenden? Welche anderen Gefühle als tiefe und ehrliche Abneigung soll ich einem Land, so reich, so gierig, so ignorant, entgegenbringen? Heute sind unsere Instagram-Feeds voll Wut, Empörung und Mitgefühl. Das ist empowernd. Aber tritt an deren Stelle nicht spätestens übermorgen wieder Wohlfühl-Cafélatte-Content? Haben wir nicht in einer Woche wieder vergessen, wessen Unmenschlichkeit wir anprangern? Ich glaube nicht. Denn ich habe Arigonas Namen nicht vergessen. Einen Namen, den ich mit elf zum ersten Mal gehört habe und der mich seitdem daran erinnert, wofür ich einstehen möchte. Seit gestern ist es nicht nur Arigona, es sind auch Tina, Lea, Sona und Ashot. Zu wissen, dass sich auch viele, viele andere Menschen an die Namen der abgeschobenen Kinder erinnern werden, lässt mich einen letzten Rest positiver Gefühle gegenüber Österreich noch aufrechterhalten. Vorerst.

Titelbild (c) Markus Spiske/unsplash.com

2 Comments

  1. Danke! Du schreibst mir und vielen andern aus dem Herzen! Dieses Unrecht ist unentschuldbar. Die Ignoranz und Arroganz von Nehammer & Co. unfassbar. Aber der Mut und die Solidarität der Mitschüler und jener, die vor Ort waren gibt Hoffnung – so wie all die Anteilnahme und der Protest von so vielen. Jene, die ihre Herzen verschließen tun es aus Angst ….vor Machtverlust. Es sind viele, aber wir, die die Namen dieser Mädchen nicht vergessen werden, sind auch viele und es werden täglich mehr. Hut ab vor Euch bewussten, fühlenden jungen Menschen! Ihr seid die Hoffnung für dieses Land und ihr habt die Kraft zu kämpfen. Wider diese Ungerechtigkeiten. Danke.

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