Das Studium als Feind psychischer Gesundheit?

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Die Studienjahre – die vermeintlich schönste Zeit des Lebens, sozusagen freie Jahre, weil die Studierenden haben ja eh nix zu tun. Partys, verkatert zur Vorlesung, der Staat füttert uns durch. So sieht das die Außenwelt. Für einige Studierende mag sich das vielleicht auch so anfühlen, für die meisten ist das Studium aber ein Vollzeitjob, der auch noch finanziert werden muss. 

Das erste Semester ist für manche besonders schwer. Zu den Anforderungen des Unilebens kommen oft weitere Neuerungen hinzu, wie etwa zum ersten Mal ohne Eltern zu wohnen, oder herauszufinden, wie man sein Leben mit Uni, Freizeit und Freunden gestalten will. Das alles kann schnell mal überfordern. Kathrin Wodraschke, stellvertretende Leiterin der Psychologischen Studierendenberatung Wien, sagt, diese Übergangsphase im ersten Semester sei für viele eine Herausforderung. Schwierigkeiten in der Uni und mit der neuen Lebenssituation führen zu Misserfolgsspiralen, die Studierenden sacken in der Leistung ab. Viele arbeiten sich aber wieder raus und ab dem zweiten Semester hat man dann schon ein bisschen mehr Routine. 

Der Druck steigt

Die Altersgrenzen für finanzielle Unterstützungen werden nach unten gedrückt. Bis vor ein paar Jahren bekam man bis zum 26. Lebensjahr – bei Ausübung des Wehr- oder Zivildienstes bis zum 27. – Familienbeihilfe, dies wurde auf 24 bzw. 25 Jahre gesenkt.
Die Studentin S. begann gleich nach ihrer Matura mit ihrem Bachelorstudium, setzte dann sofort mit dem Masterstudium fort, schloss beide in Mindeststudienzeit ab und hat nun, mit 24, nach 10 Semestern Studium, einen Mastertitel. Diese beispielhafte universitäre Karriere ist zwar eigentlich das Ziel, aber nicht das Maß.
Die durchschnittliche Studiendauer umfasst 8 Semester für den Bachelor und 6 Semester für den Master. Das heißt, die durchschnittlichen Studierenden haben mit frühestens 25 Jahren einen Universitätsabschluss. Wer nicht das Glück hat, von den Eltern finanziert zu werden, muss sich also spätestens mit 24 um einen Nebenjob kümmern. Zusätzlich ist es auf Bewerbungen gerne gesehen, wenn man mehrere Sprachen spricht, ein Auslandssemester gemacht hat, schon Berufserfahrung mitbringt und sich nebenbei freiwillig engagiert. Aber auch der Tag von Studierenden hat nur 24 Stunden. 

Anti-Stress-Strategien

Diese Anforderungen von Außen und auch die Erwartungen, die man an sich selbst hat, können zu großem Stress führen. Stress- und auch Burnout-Symptome sind keine Seltenheit unter Studierenden. Die häufigsten Diagnosen, die von der Psychologischen Studierendenberatung gestellt werden, sind Ängste und Depressionen, so Wodraschke.
Die Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, die in der psychologischen Studierendenberatung arbeiten, unterstützen bei der Suche nach Strategien, wie mit dem Stress am besten umgegangen werden kann. Wodraschke macht Mut: „Mit Stress kann man umgehen, man kann auch daran arbeiten. Es ist keine Sache, die man nicht ändern kann.“ Im therapeutischen Gespräch wird dafür zuerst nach den Auslösern gesucht. Ist Überforderung im Studium eine Ursache, oder hat man das Gefühl, gewisse Erwartungen erfüllen zu müssen?
Es ist oft ein mühsamer Prozess zu erkennen, dass der Selbstwert nicht von Leistungen abhängig ist, und dass man nicht alles alleine und hundertprozentig schaffen muss. Dabei können zum Beispiel Erstsemestrigentutorien helfen, die von einigen Studienrichtungen angeboten werden. Wöchentlich treffen sich Studienanfänger*innen mit Höhersemestrigen, die sie dabei unterstützen, sich im Unialltag zurechtzufinden. 

War früher alles besser?

Auch wenn früher die finanzielle Unterstützung etwas länger gewährt wurde, gab es Studierende mit psychischen Problemen. Es wirkt vermutlich trotzdem manchmal so, als ob dies ein modernes Phänomen sei. Doch psychische Probleme gibt es genauso lange, wie es Gehirne gibt.
Aber es gibt einen Trend zur Aufklärung über Psychohygiene und psychische Gesundheit. Wodraschke sagt dazu: „Ich glaube, heute ist das einfach akzeptiert, wenn jemand sagt, ich hab‘ Stress, mir geht es nicht gut, das kann man heute viel eher sagen als vor dreißig Jahren, damals wurde es abgetan, heute wird es ernster genommen.“

Der Mensch ist ein soziales Wesen, Wissenschaft entsteht, wenn kluge Köpfe zusammenarbeiten. Warum also sollte man das Studium auf sich allein gestellt schaffen müssen? Non scholae, sed vitae discimus, zumindest in einer Hinsicht: mit Kommiliton*innen, Koffein und hin und wieder einem Therapiegespräch lässt sich alles schaffen. 


Die Psychologische Studierendenberatung ist eine Einrichtung zur psychologischen/psychotherapeutischen Unterstützung Studierender. Die Beratung ist kostenlos.

Titelbild: (c) nikko macaspac / unsplash. com

Studium der Astrophysik. Psychotherapeut*in to be.

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