„Es gibt keine drogenfreie Gesellschaft“- Dr. Wolfgang Gombas im Interview

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Dr. Wolfgang Gombas ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeut. Seine Karriere begann er in der Drogenambulanz. In seinen Seminaren für angehende Psychotherapeut*innen hält er dazu an, substanzabhängigen Personen mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Einer seiner Therapieschwerpunkte ist Sucht: Durch die jahrelange Erfahrung mit dem Thema beschreibt er nachvollziehbar und emphatisch, wo im Konsum Gefahren und Probleme liegen.

Was halten Sie als Psychotherapeut und Psychiater von rauscherzeugenden Substanzen?

Es gibt keine drogenfreie Gesellschaft. Das ist eine Illusion. Die Schwierigkeit besteht meiner Ansicht nach darin, die richtige Balance zu finden. Niemand will abhängig werden. Dennoch geschieht es.
Die Frage aus psychotherapeutischer Sicht lautet: Warum ist es dir so wichtig, diese Erfahrung zu machen? Warum glaubst du, dass es nur so geht und nicht anders? Gibt es irgendeine Not, die durch den Konsum von Drogen gelindert wird? Wobei hilft die Droge?
Aus psychiatrischer Sicht kommt das Problem hinzu, dass manche Menschen eine Disposition zu schwerwiegenden psychischen Störungen mit sich herumtragen und diese Disposition nicht erkennbar ist – bis man Drogen ausprobiert und sich diese Möglichkeit realisiert. Dann aber ist es vielleicht irreversibel. Als Psychiater bin ich deshalb auch nicht so besonders glücklich mit der Idee der Freigabe von Cannabis. Denn das THC im Cannabis wirkt psychosefördernd, und Psychosen sind wirklich übel.

Angenommen, man trifft sich mit Freunden und bekommt angeboten, an einem Joint zu ziehen. Was würden Sie jungen Erwachsenen raten, die mit dem Gedanken spielen, typische Partydrogen wie Marihuana, LSD oder Speed auszuprobieren?

Ich kann gut verstehen, dass junge Leute alles Mögliche ausprobieren möchten. Mein Vorschlag: warten, bis man wenigstens volljährig ist. Und zwar deswegen, weil das sich noch entwickelnde Gehirn mit jedem Jahr weniger anfällig für Schädigungen ist. Je früher solche Drogenerfahrungen gemacht werden, desto intensiver werden sie erlebt.

Drogen zu nehmen muss ja nicht zu einer Sucht führen, aber bei welchen Verhaltensweisen oder Umständen bei sich selbst oder anderen in Bezug auf Drogenkonsum sollte man hellhörig werden?

Ja, das ist ein Problem. Ein typischer Satz von Drogenkonsumenten lautet: „Ich kann jederzeit aufhören, wenn ich will. Ich will nur gerade nicht.“ Drogen haben ihren eigenen Willen. Und setzen die Kritikfähigkeit herab. Dieser Trick hilft der Droge, sich besser und besser einzunisten. Und je länger das dauert, umso schwerer wird man sie wieder los. Und dann hat die Droge gewonnen.
Je regelmäßiger, desto gefährlicher. Definieren Sie ein Limit, ein Maximum, eine maximale Frequenz, die Sie nicht überschreiten wollen. Und teilen Sie es jemand anderem mit. Jemandem, der später auch die Macht hat, das Steuer herumzureißen, wenn alles schiefgeht.

Sie haben einmal gesagt: „Sucht ist immer eine Abkürzung“. Würden Sie kurz erklären, was sie mit dieser Abkürzung meinen?

Einer meiner Lehrer meinte dazu: Drogen sind Abkürzungen. Abkürzungen von einem unangenehmen, unerwünschten Zustand zu einem erwünschten – Selbstsicherheit, Entspannung, Kontaktfreudigkeit, Glücksgefühle, Ekstase, Heiterkeit, Gelassenheit, etc.
Das Problem: Es gibt eine Mautgebühr zu bezahlen. Und diese kann ausgesprochen hoch ausfallen. Dieselben Effekte durch Verhaltensänderung oder Änderung der eigenen Einstellungen zum Leben oder zu eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu erzielen, ist wesentlich aufwendiger, aber vielleicht lohnender.

(c) Dr. Wolfgang Gombas

Welche Probleme, abgesehen von physischen und psychischen Auswirkungen, können bei regelmäßigem Konsum oder einer Sucht auftreten?

Die Auswirkungen sind einerseits unabhängig von der Droge oder dem abhängigen Verhalten. Verlust sozialer Beziehungen, berufliche Schwierigkeiten, Beziehungsprobleme, finanzielle und gesundheitliche Probleme treten bei allen Süchten auf.
Daneben hat jede Sucht auch ihre eigenen Spezifitäten. Alkohol ist ein Zellgift, Kokain ist eine gefäßverengende Substanz, Tabak hat eine sehr kurze Halbwertszeit (was das Erlernen abhängigen Verhaltens leichter macht) und enthält endlos viele krebserregende Stoffe. Und so weiter.

Wie gehen Sie mit Klienten und Klientinnen um, die unter einer substanzinduzierten Abhängigkeit leiden oder auf dem Weg in eine Sucht sind?

Ein wesentlicher Teil der Arbeit besteht für mich darin, den Patientinnen und Patienten zu vermitteln, dass ich verstehe, wie schwierig das alles für sie ist. Abhängigkeit ist keine Kleinigkeit. Es ist ein Titanenkampf gegen einen unsichtbaren Feind. Und oft genug wird er verloren.
Ich erkläre den Leuten den Suchtmechanismus. Dazu gehört auch das Wissen darüber, dass die Substanz eine „Coping-Strategie“ darstellt. Das bedeutet, dass man negative Gefühle mit der Substanz verschwinden lassen kann. Und weil das die präferentielle Strategie darstellt, werden andere Strategien gar nicht gelernt. Wenn man also die Substanz oder die Sucht aufgeben will, muss man zuerst einmal lernen, die Gefühle auszuhalten. Und das ist alles andere als einfach.

Haben Sie während der Pandemie eine Veränderung bemerkt, hat sich das Konsumverhalten der Bevölkerung während der Lockdowns und in diesem unsteten Jahr geändert?
Wie geht es Personen, die unter einer Sucht leiden, mit den Beschränkungen?

Das ist sehr unterschiedlich. Alkoholprobleme scheinen zugenommen zu haben. Der Zugang zu anderen Drogen ist vielleicht erschwert, weil die Nachschubketten unterbrochen sind. Zumindest scheinen psychische Probleme zugenommen zu haben. Und ein Teil dieser Betroffenen greift dann eben zu irgendwelchen „Helfern“.
Manchmal liest oder hört man ja auch von illegalen Partys im Lockdown, mit allen möglichen Drogen, was meines Erachtens ein Hinweis darauf ist, dass Menschen, die Drogen nehmen, eher fragile, sensible Personen sind, die mit der manchmal „harten“ Realität nicht so gut zurechtkommen. Und ein Lockdown ist aus vielen Gründen eine schwierige Realität.

 


Weitere Informationen

Podcast „Couchgespräche“, mit Dr. Wolfgang Gombas und Simone Tassler

Website des Kompetenzzentrums für Freizeitdrogen „Checkit“

Studium der Astrophysik. Psychotherapeut*in to be.

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