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Was Glutamat mit Rassismus zu tun hat

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Kein Glutamat, keine Geschmacksverstärker – viele asiatische Restaurants und Lebensmittelhersteller werben mit diesem Versprechen. Trotz seiner Eigenschaft unser Essen wohlschmeckender zu machen, hat Glutamat kein gutes Image. Zurecht?

Vor einiger Zeit im asiatischen Supermarkt meines Vertrauens – Bei einem der monatlichen Großeinkäufe bleibt mein Blick auf der Suche nach Reispapier und Gojuchang Paste an einem, auf den ersten Blick seltsam anmutenden, Produkt hängen. AJI-NO-MOTO, der unaussprechliche Markenname des weißen Pulvers, der wohl weniger meine Aufmerksamkeit fesselt, als der rote Schriftzug auf der Plastikverpackung: 99% Pure Monosodium Glutamate. Glutamat?! Vielleicht ist es nur ein Ausdruck spätjugendlicher Rebellion, den ich bei dem Gedanken verspüre, mir eine ganze Packung jenes Inhaltsstoffes zuzulegen, der von meiner Mutter nicht allzu selten als Alibi herhielt, um mir „ungesunde“ Köstlichkeiten wie Kartoffelchips oder Tütensuppe zu verschmähen, aber ehe ich mich versehe, ist AJI-NO-MOTO in meinem Einkaufswagen verschwunden.

Mit einer schnellen Google Suche herauszufinden, wie man die neue Errungenschaft überhaupt beim Kochen verwendet, erweist sich jedoch als gar nicht so einfach. Während eine Prise Glutamat vereinzelt als „Kirsche auf der Torte“ eines jeden Gerichts angepriesen wird, stößt man in den meisten Kochforen auch auf unzählige nett gemeinte Hinweise über mögliche gesundheitliche Folgen von Glutamat oder auch die ganz unverblümte Aufforderung das „Teufelszeug“ am besten gleich in die Mülltonne wandern zu lassen. Eines scheint klar – Glutamat spaltet die (Koch-)welt. Doch was steckt dahinter?

Weißes Gold der Lebensmittelindustrie

Zunächst einmal – worüber sprechen wir überhaupt? Unter der breiten Bevölkerung als ‚Glutamat‘ oder als ‚MSG‘ (Monosodiumglutamate) bekannt, handelt es sich eigentlich um das Natriumsalz der Glutaminsäure, eine der Aminosäuren, welche in der Natur weit verbreitet sind. Glutaminsäure findet sich in vielen proteinreichen Lebensmitteln wie Fleisch- und Milchprodukten, aber auch zahlreichen Gemüsesorten und Pilzen, wie etwa in  Tomaten oder in Nüssen, Mehl und Algen. Unverzichtbar für das Gehirn und zentrale Nervensystem, produziert sogar unser eigener Körper Glutaminsäure als Neurotransmitter.

Bei Nahrungsmitteln spielt Glutamat eine wichtige Rolle für die Entfaltung von Aromen, es verstärkt den Eigengeschmack des Nahrungsmittels, begünstigt die Speichelbildung und lässt einem buchstäblich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Insbesondere in der asiatischen Küche ist Glutamat, durch Fermentationsprozesse gewonnen, ein Bestandteil wichtiger Würzsaucen – wie Sojasauce oder Fischsauce – der für diesen einzigartigen Geschmackskick sorgt, der wohl mitverantwortlich ist, dafür, dass du diese Woche schon zum dritten Mal Vietnamesisch bestellt hast. Aber Glutamat ist auf der ganzen Welt aus der Lebensmittelindustrie nicht wegzudenken.

Vom „China-Restaurant-Syndrom“ und anderen Märchen

Seinen Beginn findet die Verteufelung von Glutamat im Jahr 1969 als der US-Amerikanische Forscher Dr. Robert Ho Man Kwok im New England Journal of Medicine (NEJM) von seltsamen Symptomen berichtet, welche ihn jedes Mal etwa 15-20 Minuten nach seiner ersten Speise in einem chinesischen Restaurant ereilen würden. Kopfschmerzen, Herzklopfen, Schwindelgefühle und ein unerklärliches Hautjucken – so seine Leiden, für die er entweder die Verwendung von Kochwein, den hohen Salzgehalt der Speisen oder eben die Monosodiumglutamate verantwortlich machte. Schnell wird das „Chinese-Restaurant-Syndrom“ von den Medien aufgegriffen und im ganzen Land berichten Menschen von ähnlichen Symptomen, welche nach dem Restaurantbesuch oder dem Genuss asiatischer Lebensmittel auftreten würden.

Dass dieses Phänomen auch eine rassistische Konnotation hat, zeigt sich nicht nur am Namen. Im Jahr 1969 war Monosodiumglutamat (MSG) in den USA bereits einer der am häufigsten verwendeten Zusatzstoffe, rund 58 Millionen Pfund wurden von der Lebensmittelindustrie jährlich für die Verwendung in Frühstücksflocken, Tiefkühlgemüse, Babynahrung und Dosensuppen hergestellt. Dass die Symptome ausschließlich beim Konsum chinesischer Nahrungsmittel mit MSG auftraten, erklärte man sich mit den vermeintlich „exzessiven“ und „bizarren“ Kochpraktiken asiatischer Küche, in der Monosodiumglutamate in „maßlosen Mengen“ zum Einsatz kommen würden. Diese Angst vor MSG fügt sich in die zunehmende Xenophobie der 1960er Jahre ein. Vorurteile über die Unangepasstheit chinesischer Einwanderer sieht man bestätigt, indem die asiatische Küche mit Praktiken wie dem Essen von Hunden, Schlangen oder Ratten in Verbindung gebracht werden.

Bis heute konnte in Studien keinerlei Zusammenhang zwischen MSG und dem Syndrom nachgewiesen werden. Bei Blindtests zeigte sich bei den Probanden keine Symptomatik, wenn sie glaubten, Speisen ohne Glutamat zu sich zu nehmen – auch wenn diese in Wirklichkeit eine sehr hohe Dosis erhielten. Dennoch hält sich der Vorwurf hartnäckig. Noch heute findet man in vielen asiatischen Restaurants das Versprechen „ohne Geschmacksverstärker“ in der Speisekarte.

Umami – Glutamat in neuem hippem Gewand

Was ist jetzt also dran an dem Schreckensmärchen Glutamat? Nach der Recherche lässt sich wohl sagen – nicht besonders viel. Von führenden Expertengremien, wie etwa der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, wird Glutamat, in moderaten Mengen eingesetzt, als „für die Allgemeinheit unbedenklich“ eingestuft. Egal ob natürlich oder industriell hergestellt, kann der Mensch zur Würzung verwendetes Glutamat identisch zur körpereigenen Glutaminsäure verstoffwechseln.

Bei der Nahrungsaufnahme regt Glutamat unseren fünften Geschmackssinn Umami an und hinterlässt auf der Zunge einen herzhaft-salzigen, würzigen und vollmundigen Geschmack. Umami, das sich aus dem Japanischen als „Schmackhaftigkeit“ übersetzt, dürfte wohl jeder kochbegeisterten Person schon länger ein Begriff sein und hat sich 2022 sogar zum neuen Food-Trend avanciert. Es sieht also so aus, als dürften wir künftig wieder mehr von Glutamat – äh Umami – in unseren Speisen schmecken.

In meiner Küche hat AJI-NO-MOTO mittlerweile übrigens einen festen Platz gefunden. Intelligent eingesetzt, hilft Glutamat vor allem bei veganen Gerichten dabei, jene Geschmackskomponenten herauszuarbeiten, welche normalerweise über Fleisch- und Milchprodukte hergestellt werden und das „eh schon leckere“ vegane Gulasch oder die vegane Lasagne eben NOCH leckerer zu machen. Von mir heißt es also ganz klar – Glutamat, ja bitte!


Titelbild: © Paula Rossi

3 Comments

  1. Vielen Dank für den äußerst informativen Artikel zu Glutamat. Ich gebe zu, auch ich habe aus Unwissenheit das eine oder andere nicht wissenschaftlich belegte Vorurteil gegenüber dieses Würzewunders geglaubt und sicher auch verbreitet. Werde ab jetzt sicher weniger streng mit „Gluti“ umgehen, aber an 1. Stelle bleiben bei mir trotzdem Zwiebel & Knoblauch & Salz ;)….und wenn dann noch was fehlt, teil ich gern die Devise: „Glutamat, ja bitte!“ Weiterhin viel Spaß beim Recherchieren & Schreiben. Ich freu mich auf weitere „aufklärende“ Artikel.

  2. Neulich im Bioladen im Regal:

    Fertigsuppe (gibts auch da). Aber ohne „Geschmacksverstärker“ ausgewiesen. Muss wohl gesund sein…?
    Direkt links daneben: Ein Glas Hefextrakt. Besonders geeignet für vegane Ernährung wegen Vitamin B … usw.
    Was nun?

    Am Glutamat bzw. den Extrakten ist wohl tatsächlich nichts auszusetzen. Ich konsumiere mit Begeisterung Vitam-R, Cenovis, Marmite oder Vegemite, (hab‘ ich alle?) je nach Verfügbarkeit.

    Nur dass das Gros der Lebensmittelindustrie diese Helferlein dazu nutzt an den eigentlichen Zutaten zu sparen ist als Mogelei auffassbar. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.

  3. Dr. Robert Ho Man Kwok schrieb keinen Artikel im New England Journal of Medicine (NEJM), sondern lediglich einen Leserbrief an die o. g. Zeitschrift. Was er äußerte, war lediglich eine Mutmaßung, bewusst als eine solche formuliert, überdies wies er darauf hin, dass es keine belastbaren Daten oder gar Studien gäbe, sondern diese erst noch erhoben werden müssten, um seine Mutmaßung zu verifizieren oder eben zu falsifizieren.

    Was daraus gemacht wurde, war (und ist bis heute) geradezu grotesk. Der Anti-MSG-Hype ist immer noch ungebrochen, der natürliche Geschmacksverstärker gilt als absolutes Teufelszeug, als zumindest gesundheitlich bedenklich, wenn er nicht gar als potentiell tödliches Gift dargestellt wird.

    Was soll ich dazu sagen? Ich, mittlerweile 59 Jahre alt, esse seit meinem 5. Lebensjahr regelmäßig asiatisch, seit fast 30 Jahren fast täglich, weil seither mit einer Asiatin verheiratet, die sich nur wenig für die deutsche Küche erwärmen kann. Zu asiatischem Essen gehört „Umami“ einfach unverzichtbar dazu, meistens in Gestalt von Soja-, Austern- oder Fischsoße, aber auch in Form einer größeren oder kleinere Prise MSG. Hat das bei mir irgendwelche negativen gesundheitlichen Spuren hinterlassen? – Laut den regelmäßigen Befunden meines Hausarztes bin ich kerngesund. Eine für alle Menschen gültige Aussage würde ich daraus nicht ableiten, aber wenn viele hundert Millionen Asiaten regelmäßig Essen konsumieren, welches MSG enthält, und es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass es um die Gesundheit dieser Menschen in irgendeiner Weise schlechter bestellt ist als um Menschen, die keine MSG-haltigen Speisen zu sich nehmen, dann darf das wohl als Langzeit-Erfahrungswert herhalten.

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