Cambridge Analytica und der Krieg um Daten

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Der Jahresbeginn 2021 bedeutet für die Europäische Union nicht nur die Hoffnung auf die Eindämmung der Covid19-Pandemie, sondern auch den Blick auf den Brexit. Wir schauen auf ein Land, das sich per Referendum dazu entschlossen hat, die Europäische Union zu verlassen. Wie es dazu gekommen ist, lässt sich nicht ohne Cambridge Analytica betrachten. Ein warnender Rückblick auf ein Unternehmen unter vielen, die unsere Demokratien weltweit gefährden.

Dass wir die Nutzung des Internets und Sozialer Medien nicht mit Geld sondern unseren Daten bezahlen, ist schon lange klar. Eine große Rolle dabei spielt die Psychographie, bei der Details aus dem persönlichen Leben mit Gewohnheiten und psychologischen Eigenschaften kombiniert werden. Um Zielgruppen zu verstehen, bedient sie sich im Gegensatz zur Demographie also individuen- und nicht gruppenspezifischer Merkmale.

Am Ursprung der modernen Psychographie steht das 2013 gegründete Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica (CA). CEO Alexander Nix erklärte ihre Funktionsweise im Laufe des Concordia Annual Summits 2016 in New York und stellte seine Weiterentwicklung des Fünf-Faktor-Persönlichkeitsmodells O.C.E.A.N vor, das namensgebend die Aufgeschlossenheit (Openness), die Streitsucht (Contentiousness), die Geselligkeit (Extraversion), die Kooperationsbereitschaft (Agreeableness) und die emotionale Labilität (Neuroticism) jeder Person darstellt.

Damit dieses Modell zur Anwendung kommen kann, braucht es Personendaten. So wandte sich CA an Prof. Kogan von der Cambridge University, der eine App für eine psychologische Online-Umfrage entwickelte, die bei Nutzung sämtliche Daten von Facebook-Nutzer*innen (sowie die Daten der Personen in ihrer Freundesliste), die ihre Privatsphäre-Einstellungen nicht entsprechend angepasst hatten, ohne deren Wissen absaugte – darunter Likes, Statusupdates und persönliche Nachrichten. Es gelang dem Unternehmen, basierend auf mehreren tausend Umfrageteilnehmer*innen mehr als 30 Millionen Daten von Nutzer*innen zu extrahieren, mit 5.000 Datensätzen pro Person. Mit dabei im Prozess war der Datenanalyst und spätere Whistleblower Christopher Wiley. Brittany Kaiser, die nach einiger Zeit als Lobbyistin für die Vereinigten Staaten 2014 von Nix eingestellt wurde, folgte Wiley zwei Wochen nach ihrer Kündigung bei CA nach und ging mithilfe des Datenanalysten Paul Hider an die Öffentlichkeit.

Cambridge Analytica bot seine Dienstleistungen wiederholt politischen Parteien während Wahlen an, stets mit dem Ziel, die potentielle Wählerschaft auf die Seite ihrer Kundschaft zu bewegen. Das Unternehmen sammelte als Teil der SCL-Gruppe, die im militärischen Kontext psychologische Methoden zur Verhaltensänderung anwendet, Erfahrungswerte aus 10 Kampagnen jährlich, bevor seine Methode im Jahre 2016 im Rahmen der US-Wahlen und des EU-Referendums in Großbritannien zur Anwendung kam. Ziel war es in beiden Fällen, Erstwähler*innen und Unentschlossene ausfindig zu machen, um diesen einen letzten Schubs in die richtige Richtung zu geben. Konkret heißt das nach rechts, also zu den Republikanern bzw. für das Verlassen der EU.

Erklärbar wird das mit einem Blick auf die Finanzierung des Datenanalyse-Unternehmens – das Sitze in London, New York und Washington hatte – durch den Milliardär und Breitbart-Chefredakteur Robert Mercer. Breitbart ist ein nordamerikanisches rechtes Medium, das seinerseits von Steve Bannon geführt wird, der vor seinem Auftritt als Trumps Kampagnenleiter Teil von CA war. Dass Nigel Farage, der am Ursprung des Brexit steht, ein Freund der Mercers und langjähriger Bekannter Bannons ist, verwundert also nicht weiter. Es zeichnet sich das Bild eines nordamerikanischen rechtsextremen Netzwerks ab, das durch seine Verstrickungen nicht vom europäischen Politgeschehen auszunehmen ist.

Neben ihrer Arbeit für die republikanische Partei in den USA war Brittany Kaiser auch bei der Pressevorstellung der Leave.EU-Kampagne in Großbritannien zu sehen, die für den Brexit eintrat. CA schien in der Finanzauflistung der Wahlkampagne zwar nicht auf, leistete aber nachweislich unbezahlte Arbeit, für die die erwähnten Facebook-Daten herangezogen wurden. Die Ex-Angestellte Kaiser berichtete darüber, wie die abgesaugten Userdaten für micro-targeting, also das Anvisieren von Einzelpersonen, genutzt wurden, um der unentschlossenen Wählerschaft auf Sozialen Medien gezielt Inhalte anzuzeigen. Ein eigenes Kreativteam war dafür zuständig, Fotos, Videos und Beiträge zu erstellen, die temporär aufscheinen und zum Zweck hatten, die Wahlentscheidung zu beeinflussen – nicht selten auf Angst und Feindbildern beruhend.

Die Investigativjournalistin für den britischen Guardian Carole Cadwalladr fand im Zuge der veröffentlichten Details durch Wiley und Kaiser heraus, dass es sich keineswegs um einen Einzelfall handelt. Für Bolsonaros Wahlsieg in Brasilien etwa spielten Falschmeldungen über WhatsApp, das zu Facebook gehört, eine wesentliche Rolle. Ebenso sei der Genozid in Myanmar auf Facebook-Anzeigen zurückzuführen. Was erst in Trinidad und Tobago die junge afro-karibische Bevölkerung dazu bewog, im Rahmen der „DO SO“-Kampagne nicht wählen zu gehen und den Wahlsieg für die Partei People’s National Movement zu entscheiden, ist in vielen anderen Ländern der Welt zu beobachten. Immer öfter sorgen gezielte Eingriffe von Tech-Giganten in Kooperation mit (werdenden) Regierungen dafür, Gesellschaften weiter zu spalten und einen kleinen Prozentanteil der Bevölkerung, der manipuliert wurde, den Wahlausgang entscheiden zu lassen. Das jüngste Beispiel dafür ist die Black-Lives-Matter-Bewegung. Hier setzte die russische Regierung Facebook ein, um Inhalte zu fälschen und sowohl Proteste für, als auch gegen die Bewegung zu organisieren.

Im Rahmen des EU-Austritts Großbritanniens und der bekanntgewordenen Vorwürfe gegen Cambridge Analytica leitete das Britische Unterhaus Ermittlungen ein, die 18 Monate dauerten. Es ergaben sich Bilder, bei denen die Führungspersonen sich gegenseitig die Verantwortung zuschoben. Wir erinnern uns an Mark Zuckerbergs blasses Gesicht, der ankündigte, Facebook würde Maßnahmen ergreifen, um Datenmissbrauch künftig zu verhindern. Die Verantwortungsfrage wird auch deswegen hin- und hergeschoben, weil es bislang kein ausgearbeitetes Recht auf Eigentum für persönliche Daten gibt. So kam das Unterhaus zu dem Schluss, dass die Wahlgesetze unzureichend sind und eine freie, gerechte Wahl unmöglich ist.

Zu Zeiten von Big Data und Sozialen Medien ist die Demokratie also dauerhaft durch angstschürende Kommunikationsstrategien gefährdet und entsprechend offen für Massenmanipulation. Die Plattformen, die uns vernetzen sollen, werden nun als Waffen eingesetzt; oft ist es unmöglich, die Inhalte zu differenzieren. Letztlich gilt es zu verstehen, wie Daten im digitalen Zeitalter unser Leben beeinflussen: Es bleibt, wie so oft, bei der Eigenverantwortung.

Titelbild (c) Markus Spiske via unsplash.com

Architekturstudentin aus Wien &
Mitglied des CLAIMING*SPACES Kollektivs,
stets im Spagat zwischen den Welten

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