„Wie braun bist du?“ – Identitti und Identität

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„Als würden Sally Rooney, Beyoncé und Frantz Fanon zusammen Sex Education gucken“, so wird dieser Roman auf der Verlagsseite angekündigt – ein literarischer Wirbelwind über Identität!

Identitti ist nicht nur der Titel des Debütromans der Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Mithu Sanyal (Vulva. Das unsichtbare Geschlecht, 2009 und Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens, 2016), sondern auch der Twittername der Protagonistin Nivedita Anand – und getwittert wird hier eine ganze Menge: über Saraswati, Star-Professorin für Postcolonial Studies. Jahrzehntelang hat sie sich als Person of Colour ausgegeben, nun stellt sich plötzlich heraus: Saraswati ist weiß und heißt eigentlich Sarah Vera Thielmann. Ein Skandal! Nivedita, die als Identitti über Rassismus, Identität, Sex und gleichzeitig immer wieder über die indische Göttin Kali bloggt, hält sich zunächst zurück und stellt stattdessen Saraswati in deren Wohnung zur Rede. Dort beginnt ein Schlagabtausch der Debatten, die unser heutiges Denken bestimmen. Die Lieblingsstudentin, in Deutschland geboren und mit indischem Vater, fühlt sich verraten und verletzt, während Hybris und Schlagfertigkeit von Saraswati keine Grenzen kennen. Außen also tobt ein Sturm, untermauert mit Tweets von tatsächlich lebenden Personen, die ihren Beitrag zum Roman geleistet haben (wie die Autorin im Nachwort schreibt: „Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind keineswegs rein zufällig“). Und drinnen, drinnen dehnt sich die Sommerhitze aus, drinnen werden intimste Fragen gestellt, drinnen wird infrage gestellt, was Identität überhaupt bedeutet, wer darüber bestimmen darf, warum es Gender-, aber keine Race-Fluidität gibt, wie Gesellschaft und individuelle Entscheidungen zusammenhängen, und was Antirassismus eigentlich heißt.

All das könnte nicht näher dran sein an der Welt, in der wir leben, und es könnte auch nicht turbulenter sein. Sanyal wirft viele Fragen auf, sie baut aktuelle Ereignisse und Personen ein und ist dabei nicht zuletzt herrlich selbstironisch. Ein Buch der Stunde also, das nicht ohne Grund auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet ist: Sanyal vereint erfrischende Perspektiven, sehr viel Witz, Antworten, aber nicht zuletzt noch mehr Fragen.

Wer einen Eindruck vom Buch bekommen möchte, findet auf der Seite des Hanser Verlags nicht nur Leseproben und weitere Pressestimmen, sondern auch einen Selbsttest: „Wie braun bist du?“ Neue Erfahrungen zu dem, was unsere Identität eigentlich ausmacht, garantiert!

(c) Hanser

Weitere Informationen

Bei Hanser findet ihr Leseproben, ein Interview mit der Autorin, den Selbsttest und natürlich das Buch.

Die Geschichte beruht übrigens auf dem Fall der amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin Rachel Dolezal, die 2015 als Weiße geoutet wurde, sich aber als Schwarze ausgegeben hatte – im Interview erzählt Sanyal, dass sie durch die Form des Romans die verschiedenen widersprechenden Stimmen zusammenbringen konnte.

Titelbild: Raja Ravi Varma: „Kali“, vor 1906

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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