Trost runder Dinge Cover

Untröstlich | ,,Der Trost runder Dinge“ – Rezension

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Zu Clemens J. Setz gibt es nicht mehr viel zu sagen, er ist kein Neufang, längst auch kein Geheimtipp mehr. Ganz im Gegenteil, Setz mag wohl eine der wichtigsten Stimmen der neuen deutschen Literatur sein. Kurzgeschichtensammlungen sind immer so eine Sache. In diesem Fall – Titel hin oder her – eine nicht ganz runde.

Trost runder Dinge Cover
© Suhrkamp

Spätestens seit dem – mit dem Preis der Leipziger Buchmesse bedachten – Werk Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes (ebenfalls eine Kurzgeschichtensammlung) ist der Grazer Autor auch ganz ,,offiziell‘‘ im Literaturbetrieb etabliert. Mit Der Trost runder Dinge (Suhrkamp Verlag) begibt man sich also ein weiteres Mal in Kurzgeschichten-Gefilde. Die Qualität dieser schwankt allerdings gewaltig. Doch eines nach dem anderen.

Kultiviert und jung

Auch wenn es anfangs so erscheinen mag, als ob diese Geschichten in einem Vakuum existieren, ganz ohne Verbindung, merkt man bei aufmerksamen Lesen – und gegebenenfalls hektischem ,,das-habe-ich-doch-schon-wo-gelesen‘‘ Herumblättern –, dass doch einige Querverbindungen bestehen. Allen voran die Verortung einiger Texte im für Setz heimatlichen Graz. Vereinzelt dringen auch Hauptpersonen aus einem Text, wie etwa Frau Mag. Annamaria Perchthaler – ständig auf der Suche nach kultivierten, jungen Männern – als Nebencharaktere in benachbarte Geschichten ein. Obwohl das Format Kurzgeschichte an sich für eine modulare Lesereihenfolge stehen sollte, macht das Layout jedoch recht schnell klar, dass es wohl sinnvoll wäre, die Druckreihenfolge einzuhalten.

Ab in den Gruselgraben

Unabhängig von kryptischen Querverbindungen durch Namensnennungen und Protagonistenwiederverwertung, bleibt noch die thematische Verbindung der Geschichten zu erwähnen. ,,Über das Absurde und Groteske des menschlichen Zusammenlebens‘‘ schreibt die Rückseite – ein Versprechen, welches weitgehend eingelöst wird. Die Ereignisse, Umstände und Wesen, die durch Setz heraufbeschworen werden, sind alle irgendwie etwas schief, manchmal subtil wie ein nicht ganz auf 90 Grad gezeichneter Winkel oder eine quer verlegte Fliese, dann wieder offensichtlich wie eine Pole Dance Stange in der Sakristei.

Die englische Bezeichnung ,,uncanny valley‘‘ – der Punkt zwischen einer offensichtlich abstrakten Gesichtsdarstellung und einem echten menschlichen Gesicht, also gerade das Tal, in dem eine Repräsentation zwar schon verdammt nahe am Original dran ist, aber da es kein perfekte Replika ist bereits kleinste Abweichungen größtes Unwohlsein verursachen – erscheint hier äußerst passend. Die präsentierten Texte, die erzählten Begebenheiten könnten alle so passiert sein, sie erscheinen auf den ersten Blick plausibel – bis dann kleine Details, Ungereimtheiten und schreckliche Andeutungen alles aus dem Ruder laufen lassen. Elemente, die so einfach nicht existieren sollten, ja, existieren können, brechen in Alltagstrivialitäten ein, in Situationen, die uns so vertraut sind, dass bereits geringste Abweichungen regelrechte Übelkeit erzeugen.

Doch genau dabei offenbart sich der Pferdefuß des Werks. Ja, unabhängig von der Qualität der Einzelgeschichten schafft Setz, worauf er offensichtlich abzielt – keine dieser Texte ist angenehm oder entspannend zu lesen, ständig drückt und zwickt es, das gelingt ihm ohne Zweifel. Doch der Spaziergang im absichtlich herbeigeführten uncanny valley ist eine Gratwanderung: Fließt zu wenig Abartiges ein, weicht beabsichtigtes Unwohlsein schnell Desinteresse, passieren zu viele Dinge, die gemeinsam keinen Sinn ergeben, wird zu viel angedeutet und zu wenig konkretisiert, landet man nur allzu schnell im Bereich von Beliebigkeit und Langeweile. Während hier die meisten Geschichten genug Abartigkeiten liefern, schlagen manche dabei etwas über die Stränge.

Zu viel Trivialität bietet die Erzählung ‚,Kvaløya‘‘ als offensichtliche Allegorie auf ein Leben mit Depressionen und Angststörungen, sowie der Einseiter ,,Die zwei Tode‘‘, der sich in etwa wie der Blog-Eintrag eines philosophieaffinen Teenagers liest. Am anderen Ende des Spektrums findet sich die Obdachlosen-/Suchtgeschichte ,,Die Frau‘‘, mit einer spannenden Ausgangssituation und einigen großartigen Implikationen, welche aber im weiteren Verlauf viel zu vage bleiben, um ein befriedigendes Ende zu erreichen. Ähnliche Probleme hat die Tourette-and-Trust-Erzählung ,,Otter Otter Otter‘‘, die wohl eine der spannesten Prämissen der gesamten Sammlung bietet, aber knapp vor der Pointe unerklärlich abreißt.

Vertrösten

Doch bei all der Kritik soll nicht untergehen, dass doch auch ein ganzer Haufen großartiger Texte in Der Trost runde Dinge verborgen liegen, allen voran die dreißigseitige Lovecraft-Hommage ,,Die Katze wohnt im Lalande’schen Himmel‘‘ sowie die Kinder-Trilogie ,,Frau Triegler‘‘, ,,Das Christkind‘‘ und ,,Suzy‘‘. Auch das erschütternde ,,Schulfoto‘‘ und der mythisch-historische ,,Elpenor‘‘ wissen zu überzeugen. Überhaupt bewegt sich der Löwenanteil der präsentierten Erzählungen im überdurchschnittlich interessanten Bereich – wobei die eine oder andere Kürzung der Qualitätskohärenz sicherlich gutgetan hätte.

Als Kurzgeschichten-Liebhaber*in sollte man bedenkenlos zu diesem Werk greifen, auch als Fan von Absurditäten und Unheimlichkeiten könnte man hier – zumindest bedingt – auf seine Kosten kommen. Erwartet man jedoch ein angenehmes oder gar entspannendes Leseerlebnis – Finger weg. Trost spendet hier nichts und niemand.


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