Hase im Wald

„Fang den Hasen“ – der beste Roman dieses Frühlings

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Nach 333 Seiten ist bei diesem Buch klar, dass Dürers Hase nicht einfach nur das Buchcover schmuck macht, sondern eine explosive Bedeutung hat. Und dass Lana Bastašić zu Recht den Literaturpreis der Europäischen Union 2020 erhalten hat.

Es ist gerade zwei Monate her, dass wir anlässlich der EU-Themenwoche aus jedem Land der Europäischen Union ein Buch vorgestellt haben – eine Einladung, die Vielfalt der europäischen Literatur zu entdecken. Dieser Blick über den Tellerrand darf aber nicht vergessen, dass Europa noch viel mehr ist als die EU. Weiter geht es also mit dem bosnischen Buch der Stunde, bereits hochgelobt vom Deutschen Buchpreisträger Saša Stanišić. Fang den Hasen ist ein Roman, der in Dublin beginnt und in Wien endet, aber dazwischen liegt Bosnien und Herzegowina, dazwischen liegt ein Roadtrip durch den Balkan und dazwischen liegt nicht nur eine Geschichte, die wortwörtlich die Grenzen des Buches sprengt, sondern auch eine Sprache, die den Atem raubt.

Aber beginnen wir von vorn, wie auch die Ich-Erzählerin auf der ersten Seite:

„von vorne anfangen. Du hast jemanden, und dann hast du ihn nicht mehr. Und das ist ungefähr die ganze Geschichte.“

Wie viel Wahrheit in diesen scheinbar kleinen Sätzen steckt, offenbart sich im Laufe des Romans. Am Beginn also steht Sara, die es sich in Dublin samt Freund, Avocado-Bäumchen und literarischen Ambitionen eingerichtet hat und plötzlich von ihrer Freundin aus Kindheitstagen angerufen wird. Lejla und sie haben sich nach Geschehnissen, die sich erst nach und nach entfalten, zwölf Jahre lang weder gehört noch gesehen. Und nun treibt ein einziger Satz Sara wieder zurück ins Heimatland: „Armin ist in Wien“. Auf der Suche nach Lejlas Bruder setzen sich die Kindheitsfreundinnen in einen weißen Opel Astra und fahren quer durchs Land, getrieben von Saras Erinnerungen und einer Hoffnung, die nach und nach ihre Bestandteile offenlegt.

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Der Hase zieht sich wie ein roter Faden durch Vergangenheit und Gegenwart, auch – oder vielleicht gerade dann, wenn sogar Saras Erinnerungen sie zu trügen scheinen, wenn bei ihrer Erzählung die Grenzen verschwimmen zwischen der Geschichte, die wir da in unseren Händen halten und der Geschichte, die Sara tatsächlich schreibt und erzählt. Und noch eine weitere Geschichte gibt es, die unter all dem durchscheint: die eines Krieges. Eine jugoslawische Geschichte, die noch viel zu wenig präsent ist im kollektiven Gedächtnis Europas, eine Geschichte, die letztlich dazu geführt hat, dass du jemanden hast, und dann hast du ihn nicht mehr: die Geschichte einer zerfallenen Heimat und einer Zeit, in der Menschen ihre Namen ändern müssen oder einfach verschwinden.

Lana Bastašić wird als die „Ferrante Bosniens“ bezeichnet, als „nächster großer Stern am Literaturhimmel“ (El País und Vreme). Ihr Debütroman zeigt, dass das keine Übertreibung ist. Fang den Hasen ist zärtlich, heftig, düster und sehr sehr sehr poetisch. Und wer einmal eintaucht, taucht so bald nicht mehr auf.

Fang den Hasen Cover
(c) S. Fischer

In diesem Sinne: Nutzt die Ostertage und fangt den Hasen! Lest dieses Buch!

(c) Titelbild: unsplash.com


Weitere Informationen

Hier gehts zum Buch, ins Deutsche übersetzt von Rebekka Zeinzinger.

Am 8.4. findet eine Online-Lesung mit Lana Bastašić  in der Bücherei am Urban-Loritz-Platz Wien statt.

Hier erfahrt ihr mehr über den Literaturpreis der Europäischen Union.

Lana Bastašić ist momentan Writer in Residence in Zürich.

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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