viennale 2020

Das war die Viennale 2020

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Eine Reihe von Fliegenpilzen ziert das Plakat der diesjährigen Viennale, Österreichs größtem internationalen Filmfestival. So wie die Einnahme von Pilzen psychedelische Zustände auslösen kann, hat auch der Film das große Potenzial, unsere Horizonte zu erweitern, indem er neue Narrative schafft und unkonventionelle Sichtweisen auf das Leben und die Welt liefert. Wir waren auf der Viennale 2020.

Titelbild © Viennale

Einer cineastischen Bewusstseinserweiterung konnte man sich heuer vom 22. Oktober bis 1. November im Zuge der Viennale hingeben. Wie jedes Jahr bestach das Filmfestival mit einer sorgfältig kuratierten Auswahl an Filmen, die das internationale Schaffen repräsentieren. Dass Festivaldirektorin Eva Sangiorgi vielen jungen Regisseur*innen Platz einräumt, fällt dabei positiv auf. Um einem möglichst breiten Publikum – trotz der aktuellen Corona-Situation – diesen Filmgenuss zu gewähren, liefen zusätzlich zu den klassischen Viennale-Kinos (Gartenbaukino, Stadtkino im Künstlerhaus, Urania, Österreichisches Filmmuseum, Metro Kinokulturhaus) in fünf weiteren Wiener Programmkinos die Projektoren auf Hochtouren.

Film ab!

Stark vertreten waren bei der diesjährigen Viennale asiatische Filme. Als Geheimtipp empfahl Eva Sangiorgi in einem Podcast-Interview den Film Ma ma he qi tian de shi jian (der englische Titel des Films lautet Mama). In langen, oftmals starren Einstellungen erzählt Li Dongmei in ihrem Debütfilm vom ländlichen Leben im China der 1990er Jahre, das auf ihren eigenen Erinnerungen beruht. Langsam lässt Dongmei die Geschehnisse vor der Kamera entfalten und entwirft behutsam eine Poetik des Alltags, die trotz der Datierbarkeit zeitlos daherkommt.

Ma ma he qi tian de shi jian © Viennale

In aller Frühe konnte man sich Thomas Vinterbergs neuen Film Druk ansehen, der einer von den zwei Ö1 Frühstücksfilmen war, die heuer bei der Viennale gezeigt wurden. Bereits um 6:30 Uhr konnte man sich im Gartenbaukino dem vom Film geschilderten Rauschzustand hingeben. Gemeinsam mit drei anderen Lehrerkollegen startet Mads Mikkelsen in Druk ein Experiment, bei dem es darum geht, unter einem fortdauernd erhöhten Alkoholpegel zu leben und zu arbeiten. Den Entwicklungen dieses Experiments zuzusehen, zieht in den Bann.

Ein anderer starker Film, der im Rahmen des Festivals gezeigt wurde, stellt Mona Fastvolds The World to Come dar, der aufgrund seines Sujets an den großartigen Viennale Eröffnungsfilm des letzten Jahres – Portrait de la jeune fille en feu von Céline Sciamma – erinnert. Im Zentrum von The World to Come stehen zwei Frauen, die sich im ländlichen Amerika in der Mitte des 19. Jahrhunderts ineinander verlieben. Getragen wird der Film von Daniel Blumbergs wundervoll komponierter Musik, die vor allem beim Abspann die ganze emotionale Wucht des Films entfaltet. Zur Atmosphäre des Films tragen auch die eindrucksvollen 16mm-Aufnahmen der winterlichen Landschaft bei. Zurecht hat der Film den Queer Lion bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig gewonnen.

The World to Come © Viennale

Unter den Kurzfilmen, die gezeigt wurden, befand sich Pedro Almodóvars The Human Voice, der auf Jean Cocteaus gleichnamigem Stück basiert. Eine halbe Stunde lang brilliert Tilda Swinton als Frau, die verlassen wurde und ein letztes Telefonat mit ihrem ehemaligen Liebhaber führt.

Blicke zurück – Retrospektiven

Eine umfangreiche Werkschau widmete die Viennale dem Schaffen von Christoph Schlingensief. Eröffnet wurde diese Retrospektive einen Tag vor Schlingensiefs Geburtstag am 24. Oktober (der 2010 verstorbene Künstler wäre heuer 60 geworden) mit dem Dokumentarfilm Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien. Der Film zeichnet ein Porträt des Provokateurs, der in Österreich im Jahr 2000 mit seinem Projekt Ausländer Raus! Schlingensiefs Container für Aufsehen sorgte. Bei dieser Aktion, der Elemente der Fernsehshow Big Brother zugrunde lagen, konnten durch öffentliche Abstimmungen Asylwerber*innen aus dem Land herausgewählt werden.

In Kooperation mit dem Filmmuseum präsentierte die Viennale eine weitere Retrospektive: Unter dem Titel Recycled Cinema wurden Found-Footage-Filme präsentiert wie zum Beispiel jene von Cécile Fontaine, die in ihren Arbeiten den analogen Filmstreifen auf verschiedenste Weisen manipuliert (etwa durch chemische Bäder oder das Ablösen von Farbschichten). Was dabei herauskommt, ist höchst experimentell und ein erfrischend ungewohnter ästhetischer Genuss.

Cross World, Cécile Fontaine © Viennale

Um noch einmal auf das heurige Viennale-Motiv zurückzukommen: Pilze können im Übrigen auch auf nicht fruchtbarem Boden wachsen. Eine Tatsache, die wir uns in Zeiten wie diesen des Öfteren in Erinnerung rufen sollten.

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