Das Gegenteil eines Menschen Cover

„Das Gegenteil eines Menschen“ – Klimaroman ohne Substanz

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Immer öfter beschäftigt sich die zeitgenössische Literatur mit der Klimakrise. Der 2017 erschienene und jetzt ins Deutsche übersetzte Roman „Das Gegenteil eines Menschen“ (Klett-Cotta) der niederländischen Autorin Lieke Marsman ist Teil dieser Entwicklung – und bleibt dabei erstaunlich oberflächlich.

„Wie ist es möglich, seinen Platz in einer Welt zu finden, in der ein Großteil der Bevölkerung existenzielle Fragen der Erderwärmung am liebsten auf morgen verschiebt?“ – fasst der Klappentext das Problem zusammen, das die Grundstruktur des Romans bildet. Oft sind es diese oder ähnliche Fragen, die den Ausgangspunkt für Klima-Texte bieten. In den meisten Fällen wird dazu eine potenziell dystopische Zukunft imaginiert, in der die Figuren in die Auseinandersetzung zwischen Natur und Technik geraten. Das Gegenteil eines Menschen ist erschreckend gegenwärtig. Es geht um das Nicht-Handeln und das ignorante Verleugnen der bedrohlichen Wirklichkeit. Die ehemaligen Kommiliton*innen der Klimawissenschaftlerin Ida arbeiten heute großteils bei Shell. Die Protagonistin ist das Paradebeispiel einer naiv-hoffnungsvollen Akademikerin, die noch nicht bereit ist, die eigenen Ideale zu verwerfen. Als sie für ein Forschungspraktikum in die italienischen Alpen zieht, wird sie mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten und den kleinen Katastrophen des eigenen, alltäglichen Lebens konfrontiert.

Die Struktur des Romans liefert Eckpunkte einer interessanten literarischen Verarbeitung der gesamtgesellschaftlichen Verdrängung: die Frage nach Liebe in einer Gegenwart voller Unsicherheit, der sichtbar werdende Gegensatz zwischen Großstadt und der Einsamkeit der Berge, die unentwirrbare Frage nach Schuld und Verantwortung in der Klimakrise. Doch anstatt diese Eckpunkte in einer großangelegten Erzählung zu verknüpfen, tauchen sie nur als einzelne Schlaglichter auf, die es nicht schaffen, Zusammenhänge herzustellen.

Zitate, aber keine Ideen

Ein Roman, der komplexe Probleme der Gegenwart nachzeichnen will, bräuchte in jedem Fall mehr als nur knapp 180 Seiten. Er bräuchte eine spannende Handlung und interessante, vielschichtige Figuren. All das fehlt dem Roman von Lieke Marsmann. In essayhaften, sehr kurzen, Kapiteln denkt die Protagonistin über die Welt nach, ohne je ins Handeln zu kommen. Dabei sind es in den meisten Fällen nicht einmal ihre Ideen, sondern Versatzstücke und Zitate von Naomi Klein, Aristoteles, Balzac, Alan Weisman, Peter Handke und vielen mehr. Was zu Beginn als postmodernes Potpourri noch etwas Freude bereitet, wird irgendwann einfach unoriginell und langweilig. Nicht nur die Hauptfigur wirkt substanzlos und unfertig, auch die wenigen anderen Charaktere sind flach – nicht einmal die einzig andere relevante Figur, Idas neue Freundin Robin, ist mehr als Staffage.

Die einzige Stärke des Romans liegt in den lyrischen Zwischenkapiteln, die der Erzählung auf unpathetische Weise etwas mehr Tiefgang verleihen. Auf sprachlicher Ebene ist Das Gegenteil eines Menschen solide: ein junger Ton, der die Melodie der Gegenwart einfängt, ohne in banale Chatprotokoll-Ästhetik abzudriften. Und trotzdem: Ein paar schöne Sätze können die Abwesenheit von Handlung nicht ersetzen.


Titelbild: (c) Lea Moser, Cover: Klett-Cotta Verlag

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