Mensch geht eine Straße entlang

VorLaut – Weihnachtskaufrausch

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Das Weihnachtsgeschäft steht vor der Tür und die kollektive Vereinsamung lädt uns zum Frustkaufen ein. Dabei lässt sich leicht vergessen, dass am anderen Ende des Produkts vielleicht jemand steht, der für einen Hungerlohn arbeitet. Wir sollten uns auch fragen, ob wir schenken, bloß um Status zu zeigen.

Mein Müllraum, gestern: Die Altpapiertonne geht über vor Amazon-Kartons, dabei waren die 48er doch erst am Tag davor da. Der Advent beginnt und damit das alljährliche Wettrennen um Angebote, Geschenke und allgemein alles, was sich irgendwie kaufen lässt.

Irgendwo auf der Welt reibt sich Jeff Bezos wohl gerade die Hände. Der Lockdown zwingt uns, das Weihnachtsgeschäft im Netz zu erledigen. Aber ist dem wirklich so? Müssen wir schenken und wenn ja, müssen wir Materielles schenken?

Die Lust zu schenken und anderen damit eine Freude zu machen, ist wunderbar. Wir müssen aber ehrlich mit uns selbst sein. Wie viel ist wirklich Lust am Schenken und wie viel ist Lust am Konsum? Die Art und Weise und vor allem die Mengen an Paketen, die in meinem Haus tagtäglich von unterbezahlten Lieferanten herumgeschleppt werden, sprechen eher für Letzteres.

Wer sich jetzt denkt „Aber wenn ich meiner Nichte nichts schenke, ist sie doch enttäuscht“, hat vielleicht Recht. Ohne Frage ist der Druck, Kindern das tausendste Plastikspielzeug zu schenken, groß. Zumindest seinem 30-jährigen Bruder kann man aber erklären, dass man dieses Jahr gerne auf Geschenke verzichten würde.

Ja, das Weihnachtsgeschäft kurbelt die Wirtschaft an. Der soziale Druck schenken zu müssen, zwingt aber auch unzählige Menschen dazu, Geld auszugeben, das sie nicht haben oder bürdet Schuldgefühle auf, weil man den eigenen Kindern nicht einmal ein kleines Geschenk machen kann. Wer das nicht glaubt, dem sei der Twitter Account von Dani Brodesser ans Herz gelegt. Sie schreibt bewundernswert offen über Armut.

Sind wir doch ehrlich, Menschen der Mittel- und Oberschicht beschenken sich fast täglich selbst. „Die Kopfhörer hab ich mir verdient“, „Die Jeans gefällt mir halt einfach sooo gut“ oder „Man gönnt sich ja sonst nichts“, gehören fast schon zum Alltagsvokabular. Aus Fadesse, um uns abzulenken oder als Belohnung kaufen wir weit mehr als wir brauchen.

Warum also nicht die Weihnachtszeit nutzen, um genau das nicht zu tun. Aller Wahrscheinlichkeit nach braucht der*die Beschenkte das Ding, das einem bei diesen Sätzen unweigerlich in den Kopf schießt, nicht. Und wenn doch: Wunderbar! Aber Gedanken sollte man sich gemacht haben. Schenken als reine Geste hat nichts Nobles, es ist Ausdruck einer Abrichtung zum Konsum. Besser ist es zu reflektieren und stattdessen mit dem Geld etwas zu tun, das Menschen mehr bringt als flüchtiges „Ah, Danke!“ beim Auspacken.

Comitted to the best obtainable version of the truth.

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