Die Teddy Girls – Flashy, cheap and nasty

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Wer bei der Bezeichnung “Teddy Girls” zunächst an eine neue kuschelweiche und friedliche feministische Bewegung aus den sozialen Medien denkt, irrt. In einer Zeit als es noch keine Hashtags und Insta-Stories gab, drückte sich jugendlicher Widerstand und Protest durch Mode und Musik aus. Punks, Hippies, Skinheads und Rocker sind den meisten geläufig, aber die Erscheinung der Teddy Girls ist eine fast vergessene Subkultur, die in den 1950er Jahren die Öffentlichkeit verunsicherte.

50er Ruhrpott-Chic aus London

In London breiteten sich in der Nachkriegszeit die sogenannten Teds auf den Straßen aus und provozierten mit ihrem Aussehen und Krawallaktionen. Sie stammten überwiegend aus dem Arbeitermilieu, waren meistens zwischen 15 und 19 Jahre alt und begeisterten sich für die US-amerikanische Populärkultur. Der Name Teds, bzw. Teddys, geht zurück auf den britischen König Edward VII, der ein glamouröses Zeitalter repräsentierte und für den das Namenskürzel Ted üblich war. Da sich die Jugendlichen stark an dem Upper Class-Kleidungsstil, dem Edwardian Style, orientierten, bezeichneten Medien die Jugendlichen spöttisch als Teds, bzw. als Teddy Boys. Das Markenzeichen der Teddys war ihr auffälliges Äußeres, das eine Kombination aus Protzkultur und amerikanischem Rock ’n‘ Roll darstellte. Teds kauften sich in Secondhandläden edwardianische Mäntel und Jacken und unterstrichen damit auf provokante Weise ihren Anspruch auf sozialen und ökonomischen Erfolg und Aufstieg. Außerdem trugen sie oft opulente, dandyhafte Jacketts, Röhrenjeans und sogenannte brothel creepers. Das waren Schuhe mit extradicker Kreppsohle, die auch als Bordellschleicher bekannt waren. Auch die Teddy Girls verschrieben sich dem EdwardianStyle, trugen Drape-Mäntel mit hochgekrempelten Jeanshosen und flachen Schuhen und verliehen ihrem “bad-girl-style” mit Accessoires wie Strohhüten und Kamee-Broschen einen femininen Touch. Der Kleidungsstil spiegelte eine Faszination für traditionelle Kleidung wider und illustrierte gleichzeitig den Traditionsbruch unter den Vorzeichen von class, race und gender. 

Hanging around with girls

Die Teddy Girls waren das, was Billie Eilish für Millionen von Teenagern heute ist. Anti-Britney-Spears, die neue Körperkulturen etablieren und durch nonkonformes Verhalten tradierte Geschlechterrollen in Frage stellen. Der einzige Unterschied: Früher sprach man nicht über die Teddy Girls, weshalb sie heute so unbekannt sind. Zum einen zogen die männlichen Teds mit ihren Krawallaktion die mediale Aufmerksamkeit auf sich und zum anderen gibt es einen generellen Gender-Bias in der Berichterstattung über Mädchen und Frauen in subkulturellen Milieus.
Die wenigen Artikel über die Teddy Girls, die heute noch als Fossilien im Internet kursieren, befassen sich größtenteils nur mit dem Aussehen und verorten sie an der Peripherie kultureller Bewegungen. Dabei “verkleideten” sich Teddy Girls nicht nur mit Herrenjacketts und kurz geschnittenen Haaren mit Elvis-Tolle, sondern rebellierten gegen autoritäre Instanzen und protestierten für eine Gleichstellungspolitik der Geschlechter.
Sie wurden nur selten im Kontext von politischem Aktionismus und Feminismus erwähnt, obwohl allein das Tragen von Hosen für Mädchen in den 50er Jahren unvorstellbar und Ausdruck politischer Rebellion war. Die Zeit, die das Ende des 2.Weltkrieges markiert, war besonders stark von der Rückkehr traditioneller Geschlechterverhältnisse und der Romantisierung von Rollenverteilungen geprägt. Nicht nur das Tragen einer Hose, sondern auch Selbstverständlichkeiten, wie zum Beispiel das “Chillen” auf der Straße, waren für das weibliche Geschlecht untypisch, sodass öffentliche Freizeitangebote wie Espressobars oder Schallplattenläden mehrheitlich von Jungen und Männern besucht wurden. Auffälliges Verhalten, wie “Eckenstehen” und Bandentum, wurde vermehrt männlich konnotiert, weshalb die Teddy Girls ihre Szenezugehörigkeit oft als Flucht aus der Privatheit in die Öffentlichkeit verstanden. Die Einteilung von Frauen als der Privatsphäre, bzw. einem häuslich-familiären Umfeld, zugehörig und Männern, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, folgt einer langen Tradition hegemonial-patriarchaler Gesellschaftsordnung, deren Auswüchse bis in die Gegenwart zu spüren sind. 

Heilige versus Hure

Mit der wachsenden öffentlichen Präsenz und durch das Abhängen mit den “rüpelhaften” Teddy Boys wurden auch Teddy Girls gesellschaftlich verpönt. Man schrieb ihnen eine periphere Stellung in der öffentlichen Kultur zu und bezeichnete sie als Anhängsel männlicher Teds. Auch in anderen subkulturellen Szenen wurde Mädchen und Frauen eine untergeordnete Rolle eingeräumt. Beispielhaft dafür ist das in Leder gekleidete “Motorbike-Girl”, das ähnlich wie ein Pin-Up-Girl ihre Freizügigkeit und eine aggressive Sexualität demonstriert und gleichzeitig ihren Platz symbolisch auf dem Rücksitz des Motorrads zugewiesen bekommt. Vor allem in der Provinz wurden Mädchen und Frauen, sobald sie nonkonformes Verhalten aufzeigten, in Kategorien eingeteilt, die mit dem Aufkommen internationaler und feministischer Frauenbewegungen hinterfragt wurden.

BHs, Slips und öffentliche Männertoiletten

In den späten 60ern keimten nicht nur subkulturelle Jugendbanden, wie die Teds in England, die Plattenbrüder in Österreich und die Halbstarken in Deutschland auf, sondern auch autonome und internationale Studenten-, Frauen- und Schwulenbewegungen. Besonders die zweite Frauenbewegung stand im Zeichen feministischer Ikonen, wie etwa der französischen Philosophin Simone de Beauvoir, Hélène Cixous, oder Luce Irigaray. Zusammen mit der US-amerikanischen Black Power Bürgerrechtsbewegung forderten sie auf internationaler Ebene arbeitspolitische, rechtliche und ökonomische Gleichstellung für Frauen, protestierten für sexuelle Selbstbestimmung und gegen das Abtreibungsverbot. Die zweite Frauenbewegung blieb vor allem auch aufgrund ihrer spektakulären Protestaktionen in Erinnerung. In Frankreich warfen Frauen ihre Unterwäsche in öffentliche Brunnen, in Deutschland brannten BHs auf offener Straße, in Holland besetzten Frauen öffentliche Herrentoiletten, weil es damals keine für Frauen gab, und in Island standen Frauen an den Supermarktkassen und weigerten sich, mehr als 52 Prozent des angegebenen Preises zu zahlen, da sie auch nur die Hälfte des Lohnes der männlichen Mitbürger erhielten. Der kulturelle Wertewandel hatte nicht nur ein verändertes Bewusstsein für das eigene Geschlecht und die damit verknüpften Ungerechtigkeiten hervorgebracht, sondern auch neue Leitbilder und Lebensentwürfe für Frauen gezeichnet.

Öffentlichkeit feminisieren

Der Einblick in das Leben der Londoner Teddy Girls verdeutlicht nicht nur den großen Nachholbedarf an Artikeln und Dokumenten von und über Mädchen und Frauen im Kontext jugendlicher Subkultur, sondern auch die Bedeutung von Öffentlichkeiten und Protestkulturen. Gerade in Zusammenhang mit aktuellen Rassismus- und Sexismusdebatten, die durch digitale Proteste und Grasroot-Aktionismus (#BlackLivesMatter-Bewegung, #MeToo-Bewegung) überall auf der Welt Aufstände initiieren, müssen plurale Lebenswelten Anerkennung und Sichtbarkeit erlangen. 

Die Ausblendung von Frauen, BIPoCs und anderen marginalisierten Personengruppen aus historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Diskursen muss ein Ende haben, damit Öffentlichkeit demokratisiert wird. Die Sichtbarkeit der Teddy-Girls, die exemplarisch als eine fast vergessene Kultur gilt, verdeutlicht, dass weibliche Gegenöffentlichkeiten, alternative Lebensentwürfe und Wertvorstellungen schon immer existiert haben. 

 

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