Warum uns die neue Covid-Variante „Omikron“ nicht überraschen sollte

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Omikron – innerhalb weniger Tage löst die neu entdeckte Covid-19-Mutation in vielen Ländern blitzartige Schließungen der Grenzen und Einreiseverbote aus. Voller Unbehagen warnen Expert*innen und Sprecher*innen nationalstaatlicher Regierungen und Organisationen sowie die EU vor einem Rückschlag in der Pandemiebekämpfung. Doch die Covid-Mutation könnte vor allem auf eines hinweisen: das Scheitern der globalen Impfstoffverteilung.

Das vergangene Jahr wurde medial von pandemiebedingten News bestimmt. Ein allgemeiner Lockdown und die voraussichtlich ab Februar 2022 geltende Impflicht in Österreich beherrscht nun vollends die Berichterstattung auf allen Kanälen. Nun folgte auch noch die Nachricht über eine neue Covid-Variante B1.1.529, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „besorgniserregend“ eingestuft wird, ausgestattet mit dem fast bedrohlich klingenden Namen: Omikron.
Kurz nach der medialen Verkündung beginnen immer mehr europäische Länder erste Fälle der Mutation zu verzeichnen, andere passen ihre Einreisebestimmungen dramatisch an, und manche, wie Israel, gehen sogar so weit, ihre Grenzen für alle ausstehenden Besucher*innen dichtzumachen. Wir in Österreich sitzen zuhause im Lockdown vor unseren Bildschirmen, verfolgen die Nachrichten und stellen uns ängstlich alle möglichen Fragen: Wie gefährlich ist die Variante wirklich? Schützt mich meine Impfung? Stehen wir vielleicht wieder am Anfang der Pandemie?
Viel zu oft wird hier leider die Frage vergessen: Wie konnte es überhaupt dazu kommen?

Ungerechtigkeiten der Impfstoffverteilung

Während den Bürger*innen in reichen Industrieländern wie Österreich der Impfstoff beinahe nachgeworfen wird und es trotzdem nur zu einer peinlich niedrigen Impfquote geführt hat, aus der in Österreich sogar eine Impfpflicht resultieren musste, haben viele Länder Afrikas, Südamerikas oder Asiens immer noch keinen ausreichenden Zugang zu Impfstoff. Dies hängt mit mehreren Faktoren zusammen.
Einerseits horten die reichen, westlichen Länder den Impfstoff in der Hoffnung, ihre Bevölkerung doch noch zum Impfen zu bewegen. Ärmere Staaten haben hingegen nicht die finanziellen Mittel, um den notwendigen Impfstoff zu kaufen und auch oft nicht die Infrastrukturen, um diesen zu verabreichen. Andererseits spielen die Patente der Impfstoffe immer noch eine große Rolle. Sie halten ärmere Länder davon ab, den Impfstoff, den sie dringend benötigen würden, selbst zu produzieren.
Die Absenz von Impfstoff spiegelt sich in vielen Staaten auch in ihrer Impfquote wider. In Südafrika, das derzeit als Ursprungsort der neuen Variante angenommen wird, liegt diese bei 24,1 Prozent. Paradoxerweise schneidet das Land hier sogar im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten relativ gut ab. In Botswana liegt die Impfquote nämlich bei 20, in Namibia und Mosambik um die 11% Prozent. (Stand 28.11.21) Zusätzlich rückt dieser Umstand die ärmeren Nationen immer mehr in Abhängigkeit der reicheren Länder und repräsentiert damit ein sich historisch wiederholendes Muster der Ausbeutung durch den globalen Norden.

Pandemiebekämpfung in einer globalisierten Welt

Gleichzeitig scheint es einem fast so, als wären die Regierungen der Nationalstaaten und die EU darüber verwundert, dass sich eine neue Variante in Afrika entwickelt hat. Verwunderung sollte der Umstand wohl eher darüber auslösen, dass scheinbar immer wieder darauf vergessen wird, wie globalisiert und vernetzt die Welt ist, in der wir leben. Dass es nicht reicht, darauf zu setzen, die Bevölkerung der westlichen Staaten durchzuimpfen und sich später erst den Ländern des globalen Südens zuzuwenden. Dass jene schlicht und ergreifend nicht die finanziellen Mittel oder den Zugriff zu Patenten haben, um genügend Impfstoff zu finanzieren. Das Ende der Pandemie kann eben nur dann herbeigeführt werden, wenn alle Teile der Weltbevölkerung auf gerechte Weise den Schutz vor dem Virus durch die Impfung erhalten haben. Bisher könnte sich dieser Umstand aber vor allem auf einen Aspekt zurückführen lassen: das Versagen der globalen Impfstoffverteilung durch die westlichen Industriestaaten.

Der Generaldirektor der Vereinten Nationen (UNO) Tedros Adhanom Ghebreyesus äußerte sich diesbezüglich zuletzt kritisch auf der sozialen Plattform Twitter und meint, Omikron würde die Ungerechtigkeiten der Impfstoffverteilung widerspiegeln.

Mit der Kampagne Vaccine-Equity (#VaccinEquity) hat es sich die WHO zum Ziel gesetzt, einen global gerechten Zugang zur COVID-19 Impfung durchzusetzen. Unter der Annahme, dass grundsätzlich genug Impfstoff verfügbar, dieser nur nicht gerecht verteilt ist, versucht die Organisation, auf ein Ende der Pandemie hinzuarbeiten – mit dem Ziel bis Mitte 2022 „Global COVID-19 Vaccination“ zu erreichen.

Zudem verlautbarte Ghebreyesus in einem Statement am 29.11.2021 folgendes: „The emergence of the highly-mutated Omicron variant underlines just how perilous and precarious our situation is. Omicron demonstrates just why the world needs a new accord on pandemics: our current system disincentivizes countries from alerting others to threats that will inevitably land on their shores.”

Außerdem meinte der Generaldirektor, sei es zwar noch nicht klar, welche Auswirkungen Omikron tatsächlich haben würde, aber Wissenschaftler*innen würden fleißig daran arbeiten, dies herauszufinden. Folgend plädierte er: „We shouldn’t need another wake-up call. We should all be wide awake to the threat of this virus. We are living through a cycle of panic and neglect.”

Weiters könnten hart erarbeitete Erfolge der Pandemie genauso schnell auch wieder verloren werden. Um dem entgegenzuwirken, sollte möglichst zusammengearbeitet werden, um ein Ende der Pandemie zu erreichen – so wie man auch in der Zukunft Pandemien bewältigen möchte.
Laut Ghebreyesus sei dies aber nur durch das Befolgen bestimmter Prinzipien möglich und betont hier vor allem Solidarität und Gerechtigkeit: „Courageous and compassinote leadership; Fidelity to science; Generosity in sharing the fruits of research; and an unshakable commitment to equity and solidarity.”

Mit Blick auf das weitere Fortschreiten der Covid-19 Pandemie, aber auch der Klimakrise, die immer bedrohlicher auf uns zukommt, muss verstanden werden, dass es nicht mehr ausreicht, innerhalb nationalstaatlicher Grenzen zu handeln. Stattdessen sollte versucht werden, globale Lösungen zu finden, die niemanden zurücklassen und die ohnehin schon zu tiefe Kluft zwischen armen und reichen Ländern nicht noch weiter verstärken. Die von Ghebreyesus geforderte Solidarität und Gerechtigkeit ist notwendig.

 

Mehr zur „Vaccine Equity“ Kampagne der WHO: https://www.who.int/campaigns/vaccine-equity

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