Die Frauen, die den IS besiegten – Rojavas feministische Revolution

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Das kurdische Rojava hat im syrischen Machtvakuum die Chance auf Selbstbestimmung erkannt. Die Autonome Administration regiert und verteidigt seit 2013 den Nordosten von Syrien. Ein basisdemokratisches System, das die Rechte aller Menschen, die in der Region leben, sichern soll, wurde eingeführt. Araber, Kurden und Christen sollen im Einklang miteinander leben können. Ganz oben auf der Agenda allerdings: die Befreiung der Frau.

Zwischen Tigris und Euphrat, wo einst die Zivilisation begonnen haben soll, befindet sich heute die Region Rojava. Also offiziell heißt Rojava Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien – kein international anerkanntes Land, aber auch nicht so recht Teil von Syrien. 2011 zogen sich Demonstrationen gegen die Diktatur von Bashar Al-Assad vor allem durch den südwestlichen Teil von Syrien. Um die Proteste niederzuschlagen, verlagerte Assad den Großteil seiner Truppen in diese Regionen. Was er nicht bedachte: Im Nordosten eröffnete sich durch die militärische Abwesenheit des Regimes ein Vakuum, das zum Florieren der wohl jüngsten Demokratie der Welt führte.

Die Frauen, die den IS besiegten 

Kurze Zeit nach der de facto Unabhängigkeit von Rojava, sahen sich die Kurd*innen mit der Gefahr des IS konfrontiert. Die kurdischen Streitkräfte zählten zu den jenen Akteuren, die die Eindämmung des Islamischen Staates vorantrieben. Was an der kurdischen Armee besonders heraussticht, ist, dass 30-40 Prozent der Soldat*innen weiblich sind. Ein unüblich hoher Anteil – in Deutschland sind es knapp 12 Prozent.

Laut Isabel Kaiser, einer PhD Kandidatin im Center for Gender Studies in London, „spielten Frauen eine Schlüsselrolle in der Befreiung und der Verteidigung von Nordsyrien und Rojava“. Militäravancen werden von der YPG, einer gemischten Volksverteidigungseinheit, und der YPJ, einem Militärarm, in dem nur Frauen das Sagen haben, abgewickelt. Während in der YPJ Männer nicht erlaubt sind, sind Frauen in der YPG durch eine Quotenregelung sehr wohl am Prozess beteiligt. Die Effizienz einer Armee scheint mit dem Anteil der Kämpferinnen und Kommandantinnen zu steigen.

Nieder mit dem Patriarchat!

Die kurdischen Schläge in den Schritt des Patriarchats machen nicht bei der Armee halt. Die Frauenrechte sind fest im Gesellschaftsvertrag verankert, einer Art Verfassung Rojavas. Frauen sind in allen Führungsgremien in gleichem Maße vertreten wie die Männer. In jeder „Administrationseinheit“, die ein Dorf, ein Distrikt, ganz Rojava, oder auch eine Schule sein kann, gibt es zwei Co-Vorsitzende, von denen mindestens einer eine Frau sein muss. Oft ein arabischer Mann und eine kurdische Frau. Beide werden in die jeweils höhere Einheit geschickt, um die Interessen der ihren zu vertreten. 

Mit der Jineologie wurde die „Wissenschaft der Frau“ in die Universitäten gebracht. Sie soll notwendig sein, um den Kapitalismus zu überwinden – das wäre nämlich ohne Zerschlagung des Patriarchats nicht möglich. Ihr Ziel ist es, die religiösen Regeln, die Frauen unterdrücken, abzuschaffen. Es wurden etliche Frauenhäuser errichtet – einige ehemalige IS-Gebäude – in denen gegen Zwangsehen und häusliche Gewalt gekämpft und gleichzeitig die Bevölkerung mit der neuen Ordnung vertraut gemacht wird.

Revoluzzer aus der Gefängnisinsel

Rojava ist umzingelt von der Türkei, die den Kurden seit Ewigkeiten das Daseinsrecht abspricht, vom Iran, der Frauenrechte mit den Füßen tritt und dem autoritären Regime in Assads Syrien. Wie konnte sich inmitten dieses Chaos also etwas herauskristallisieren, das wie eine feministische Oase klingt? Abdullah Öcalan, Gründer der kurdischen Arbeiterpartei und ideologischer Führer von Rojava, beschäftigte sich auf einer türkischen Gefängnisinsel, wo er seit 1999 gefangen ist, mit den Schriften von Murray Bookchin und pflegte eine Brieffreundschaft mit dem Philosophen. Bookchin legte ihm die Werte des Feminismus, der Demokratie und der ökologischen Transformation ans Herz – Öcalan war begeistert. Bookchins Buch „Ökologie der Freiheit“ wurde zur Pflichtlektüre der kurdischen Soldat*innen und Öcalan erklärte die Revolution zu einer Revolution der Frauen.

In den meisten Revolutionen die geglückt sind, spielten die Frauen bis hin zur Befreiung eine große Rolle. Sobald die Revolutionen endeten, wurden Frauen wieder in traditionalistische Schemata gedrängt – in die Küche, in die Kindererziehung – während Männer wieder die wichtigen Positionen belegten.

In der jüngsten linken Revolution in Nordsyrien ist das nun anders, denn es handelt sich um eine Revolution, die Frauen anführten. Die weibliche Präsenz setzt sich über die Revolution hinaus fort.

Titelbild: Markus Spiske

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