Nord Verlag

Von der Kunst, einen Verlag zu gründen

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Grausame Morde im Schnee, Stieg Larsson und Jussi Adler Olsen – dieses Bild haben die meisten Menschen im Kopf, wenn sie an skandinavische Literatur denken. Camilla Zuleger will das ändern – und hat einfach einen eigenen Verlag gegründet.

Titelbild (c): Jules Villbrandt

Kopenhagen, vor ein paar Jahren: Camilla Zuleger sitzt in einem Literatur-Seminar an der Uni, besprochen wird ein junger dänischer Dichter: Victor Boy Lindholm. Der Dozent ist außer sich, er sieht Lindholms Gedichte als Zerstörung der Lyrik, findet sein Schreiben geradezu unverschämt. Der Autor ist erst Anfang 20 und rührt bereits das Establishment auf – durch seine Sprache zund durch seine Themen, weil er über das Internet schreibt. Allein diese Empörung der Autoritäten ist für Camilla damals schon Grund genug, sich genauer mit den Gedichten zu beschäftigen.

Als die Literaturliebhaberin dann ihr Studium beendet, dauert es nicht lange bis zum Entschluss einen eigenen Verlag zu gründen. Die skandinavische Literaturszene ist klein. Das bedeutet zwar einerseits, dass alle sich untereinander kennen und es ein großes Netzwerk gibt, andererseits aber auch, dass die wenigen Verlage kaum Jobs bieten. Weil Camilla zu diesem Zeitpunkt schon sehr stark mit der deutschsprachigen Kultur verbunden ist, zögert sie nicht lange und gründet kurzerhand auf eigene Faust den Nord Verlag, der aufstrebende skandinavische Autor*innen für den deutschsprachigen Markt verlegt:

„Wenn es um Dänemark ging, dann immer um Krimis oder unsere rassistischen Politiker*innen. Ich fand dieses Bild, dass wir nur Hygge machen, Zimtschnecken essen und dabei Krimis lesen zu flach und wollte zeigen, dass es auch einen Grund gibt, warum Skandinavien als progressiv gilt. Ich wollte zeigen, dass wir auch politische Menschen sind, die sich Sorgen über die Welt machen.“

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Der Schreibtisch, von dem aus alles begann. Auch die Illustrationen skandinavischer Autorinnen gibt es im Nord Verlag zu kaufen. (c) Nord Verlag

Der Verlag wird zu einem Statement – da liegt es nahe, dass Victor Boy Lindholms Gedichtband Gold die erste Veröffentlichung ist: „Die Gedichte haben einen ganz besonderen Kopenhagen-Vibe.“ Sie spielen in den Clubs der Hauptstadt und sie treffen einen Nerv: „Ich wollte die Bücher zeigen, die wir lesen, die in Kopenhagen cool sind“, betont Camilla. Und das sind vor allem Gedichte. Lyrik hat einen ganz anderen Stellenwert in der skandinavischen Literaturszene, die sich von der deutschsprachigen unter anderem auch durch einen großen Austausch unterscheidet: Trotz verschiedener Sprachen können sich die Skandinavier*innen gegenseitig verstehen. Wer an einer Schreibschule studieren will, kann sich direkt in drei Ländern bewerben; die Autor*innen kennen sich untereinander. Das hatte auch Einfluss auf die skandinavische Rezeption des zweiten Gedichtbandes im Verlag: Warum bin ich so traurig, wenn ich doch so süß bin? der Norwegerin Ingvild Lothe.

„Sie ist in Kopenhagen riesig. Sie ist bekannt und beliebt, dabei gibt es gar keine dänische Übersetzung des Buches. Wir haben es alle auf Norwegisch gelesen.“

Ingvild Lothe stand mit ihren Gedichten mehrere Jahre auf der Lyrikbestsellerliste in Norwegen. Während also hierzulande noch alle dicke Krimis wälzen, wird im Norden die Lyrik zum Supertrend. Viele debütieren mit einem Gedichtband, bevor danach eventuell ein Roman hinterherkommt. Weil in Norwegen beispielsweise Bibliotheken verpflichtet sind, von jedem Buch 1000 Exemplare zu kaufen, ist die Hemmschwelle, noch unbekannte Autor*innen zu publizieren, deutlich geringer.

Bücher mit viel Herzblut

Auch die neueste Veröffentlichung des Nord Verlags ist ein Gedichtband: Olga Ravns Rose Werden wurde bereits für den dänischen Buchpreis der Leser*innen nominiert, die Autorin ist in mehrere Sprachen übersetzt worden. Zuletzt erschien der Roman The Employees bei Lolli Editions in London – ein Verlag, den Camilla sehr schätzt: Auch hier ist die Verlegerin Dänin und bringt ausschließlich Bücher heraus, hinter denen sehr viel Herzblut steckt.

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Verlegerin Camilla Zuleger mit der neuesten Publikation: Olga Ravns „Rose Werden“.     (c) Nord Verlag

Dass auch beim Nord Verlag nur Romane und Gedichtsammlungen erscheinen, die die Verlegerin selbst lieben gelernt hat, ist ein Luxus, für den sie gleichzeitig auf große Wirtschaftlichkeit verzichten muss: Neben ihrem Vollzeitjob läuft die Verlagsarbeit abends, am Wochenende oder unterwegs. „Der Verlag ist wie ein teures Hobby“, sagt sie. Weil es weniger ums Geld ging, sondern einfach darum, gute Bücher zu machen, konnte sie das nötige Durchhaltevermögen aufbringen und hatte eine Freiheit, die sie als essenziell für die Gründung ansieht. Die Kunde ihres Verlags verbreitete sich hauptsächlich über das Internet. Camilla schrieb über Mails und Social Media Menschen an, die ähnlich tickten. Daraus entstanden bereits wunderbare Zusammenarbeiten: Ob Lektorat, Nachwort, Illustrationen oder die Fangemeinde – durch das Internet hat sich die Verlegerin ein Netzwerk aufgebaut, das die deutschsprachige Szene für die wunderschönen Bücher und auch Kunstdrucke begeistert.

Netzwerk Internet

Während der Pandemie ist die gesamte Kulturszene auf das Internet ausgewichen. Lesungen, Konzerte, Diskussionen – über Livestreams können Menschen an Veranstaltungen teilnehmen, zu denen sie sonst keinen Zugang gehabt hätten. Aber es ersetzt dennoch nicht die konkrete Veranstaltung, die Verbindlichkeit der Anwesenheit, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Das bestätigt auch ihre bisherige Erfahrung, sagt Camilla: Viele werden zwar online auf ihre Bücher aufmerksam, kaufen sie dann aber doch im Laden – gerade die schönen Designs wollen in der Hand gehalten werden. Der Nord Verlag hat einen eigenen Webshop, will aber die Buchhandlungen keinesfalls ersetzen, sondern vielmehr den Dialog fördern.

Auch dafür sieht die Verlegerin die Vorzüge des Internets: „Du musst nicht darauf warten, dass Du Dich zufällig triffst. Es ist so einfach, Leute zu finden, mit denen Du Gemeinsamkeiten hast und ihnen zu schreiben: Hey, Du machst eine coole Sache, wollen wir nicht mal einen Kaffee trinken gehen? Es gibt kaum eine Person, die das nicht freut.“ In der Vernetzung liegt eine Bestärkung der eigenen Arbeit, eine Erweiterung des eigenen Horizonts. Und vielleicht auch manchmal einfach nur ein Lesetipp. Auf die Frage nach ihrer aktuellen Leseempfehlung schwärmt Camilla vom Lolli Editions Verlag, hält ein schön gestaltetes Buch in die Kamera. Und spricht von der eigenen Gespaltenheit: Während ihr Fokus auf der skandinavischen Literatur liegt, verlangt der Verlag immer wieder eine Prüfung des deutschsprachigen Marktes. Auch Internationales wie der Booker Prize ist auf ihrem Radar, genauso Sachbücher. „Ich habe einen ziemlich breiten Geschmack“, lacht sie.

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Desinfektionsmittel, Mundschutz und ein berühmter Lyrikband. (c) Nord Verlag

Dass sich der Buchmarkt und mit ihm auch der Nord Verlag noch sehr verändern werden, dass Konservatives herausgefordert werden muss, davon ist sie überzeugt. Ihr Verlag ist experimentierfreudig, sprengt Genregrenzen (mit Eigentlich wollte ich keine Kohlrüben kaufen gibt es beispielsweise auch einen Kochbuchroman) und er ist offen für das, was noch kommt. Momentan gilt es, eine nachhaltige Zukunft aufzubauen und noch mehr Leute von skandinavischer Literatur zu begeistern, die anders ist, verpackt in liebevoll designte Buchumschläge. Wer also Post-Weihnachts-Geschenke sucht, wird hier auf jeden Fall fündig. Und was kann sonst noch getan werden, um diesen besonderen Verlag zu unterstützen? Camilla Zuleger lacht:

„Einfach allen Leuten in Österreich davon erzählen, bitte!“


Weitere Informationen

Hier findet ihr weitere Infos und den Webshop des Nord Verlags.

Hier geht es zur liebevoll gestalteten Instagram Präsenz und hier zum Facebook Kanal.

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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