Titelbild Black Box Volkstheater

Ganz allein im Volkstheater

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Das Volkstheater ist offen! Und es macht mitten in einer Pandemie etwas möglich, das vielleicht sonst nie so stattgefunden hätte: Ein ganzes Theater spielt für eine Person.

(c) Titelbild: Nikolaus Ostermann

Ein Raum, gerade so groß wie der Stuhl, auf dem ich sitze. Direkt vor meiner Nase eine Tür, verziert und mit einem kleinen Sichtfenster. Meine Hände in weißen Handschuhen, auf meinen Ohren Kopfhörer. Ich soll mich nach vorne beugen, durch das Glas spähen. Das Foyer aus der Sicht einer Theaterkarte, sagt die Stimme aus den Kopfhörern. Sie erzählt davon, wie hier einmal die Karten verkauft wurden, ich höre Schritte, höre Stimmen, als würde sich das Foyer füllen, schaue unwillkürlich nach – es ist alles in meinem Kopf. Und da sind nicht nur die Geräusche, da ist auch plötzlich eine Aufregung, als würden wirklich Menschen hineinströmen, als würde ich nicht in einer Zeit leben, in der die Kultur geschlossen ist, als würde gleich wirklich eine Vorstellung beginnen, als würden die Menschen ihre Plätze einnehmen, Licht aus, Vorhang auf, erster Akt. Und erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich all das vermisse.

Über ein Jahr ist es her, dass ich zuletzt das Volkstheater betreten habe. Umbau und Pandemie haben ihren Preis gefordert, hinter Bauzäunen lag das Versprechen auf eine ferne Zukunft und als die letzten Säulen gestrichen wurden, war noch kaum klar, wie es weitergehen kann mit den Bühnen dieser Stadt. Mit Black Box aber hat das Volkstheater mit Stefan Kaegi vom Künstler*innenkollektiv Rimini Protokoll die Tore mitten im kulturellen Lockdown geöffnet und lässt den Sehnsuchtsort Theater wieder ganz lebendig werden. Alle fünf Minuten wird ein*e Zuschauer*in zur Garderobe gelassen, bekommt Kopfhörer und Handschuhe und wird dann durch das generalsanierte Haus geführt – beginnend im Ticket-Eckchen.

Auftritt in Drei, Zwei, …

Steh auf, sagt die Stimme. Bereitmachen zum Türöffnen – Aktion. Ich trete wieder ins Foyer, werde aufgefordert die Treppe rechts hinaufzugehen. Schritte, als würde jemand mit mir gehen, oder vielmehr als wären es meine eigenen. Ich gehe vorbei an großen Spiegeln, durch die nächste Tür. Das Erlebnis ist genau getaktet, jede Anweisung passt auf die Minute. Vorbei an verheißungsvollen Türen, Gänge entlang. In den Requisitenraum, sich auf den Sessel der Maske setzen, die Kostüme berühren, sich im Kellerraum mit der Kühlanlage umschauen, in den Souffleurkasten zwängen, unter der Drehbühne gehen, im Pausenraum eine Kleinigkeit trinken, über der Bühne auf der Technikbrücke lehnen, im denkmalgeschützten „Führerzimmer“ das Gefühl einer Konzeptionsprobe bekommen, die Nebelmaschine bedienen, im Spotlight auf der Bühne stehen, Zuschauer*in sein. Und immer wieder: Gesprächen lauschen. Was Black Box bietet, ist nicht einfach nur eine neugierige Führung hinter die Kulissen des Gebäudes, sondern ein Austausch ohne Interaktion. An jeder Station kommen Menschen zu Wort, die dort arbeiten, die für ihre Arbeit und das Theater brennen. Die einzige lebende Person, die mir begegnet, ist der Portier – und immer wieder Schatten von anderen Teilnehmenden. Black Box hat sich etwas Schönes einfallen lassen, damit zumindest mit einer von diesen anderen Personen eine besondere Verbindung entstehen kann auch das ist einer der Momente, der die Magie von Theater hinaufbeschwört.

 

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Am Ende soll ich ein Fenster nach draußen weit öffnen, um langsam wieder herauszufinden aus dieser Welt, in die ich die letzten 90 Minuten eingetaucht bin. Und das ist wie ein Herausstolpern aus dem Theatergebäude, den Kopf noch ganz im dunklen Saal, als hätte sich der Vorhang gerade erst geschlossen. Als Erinnerung habe ich eine kleine Botschaft in der Tasche. Und die Sehnsucht danach, diese Luft bald wieder einatmen zu können und zurückzukehren zu den Brettern, die die Welt bedeuten.


Weitere Informationen

Im Februar und März sind bereits alle Tage ausverkauft. Weitere Termine sind in Planung.
Mehr Informationen und Tickets findet ihr hier.

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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