Don Giovannis Zerfetzung

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Die Volksoper zeigt mit Mozarts und Da Pontes Monument Don Giovanni eines der ambivalentesten und emotionalsten Werke der Menschheit voller Verführung, Sex, Reue und Schmerz. Und man könnte es auch so inszenieren. Der österreichische Kunstmaler und Regisseur Achim Freyer liefert mit seinem „Don Giovanni-Prinzip“ zwar ein Konzept, jedoch scheitert dieses an seiner statischen Bildsprache.

In der «Oper aller Opern» verführt Don Giovanni Hunderte von Frauen und lässt diese dann unglücklich zurück. Bei Zerlina ist er sogar wenige Stunden vor deren Hochzeit mit Masetto mit seiner Verführungskunst erfolgreich. Donna Anna und Donna Elvira jedoch durchschauen Don Giovannis Spiel und dürsten nach Rache. Am Ende dieser von Mozart als «Dramma giocoso» bezeichneten Oper landet der Schändliche in den Flammen der Hölle – und ein Chörlein besingt den Sieg des Guten.

Wolfgang Amadeus Mozarts Meisterwerk Don Giovanni wird in der Volksoper gezeigt und erbarmt sich der italienischen Sprache nur teilweise: Lorenzo da Pontes Libretto wird mit gelegentlichen, deutschen Übersetzungen vervolksopert. Den Charaktern wird mit Hilfe der „schicken“, italienischen Sprache mal mehr, mal weniger Noblesse zugeteilt. Achim Freyer versetzt uns in eine schwarz-weiße Hafenstadt, über der die wandernde Sonne den letzten Tag des Gigolos ankündigt. Es ist ein großes Kommen und Gehen: Die Figuren spazieren mit symbolischen Gesten über die Bühne, jedoch ohne miteinander zu interagieren, der Tisch für das „letzte Abendmahl“ wird vom flinken Bühnenpersonal an diesem Abend gefühlte 1000 Male gedeckt, bis schlussendlich Don Giovanni höchstpersönlich verspeist wird. Durch die Überfülle der Regieeinfälle fällt es schwer, Giovannis Geschichte noch herauszulesen.

Aus Prinzip…

Vielmehr ist die Oper zu Freyers Kunstausstellung geraten. Mit bemaltem Bühnenbild, Kostümen und Requisiten kreiert er eine Zweidimensionalität, die er leider auch auf die Charaktere überträgt: Der Mensch Don Giovanni wird zu einem Konzept der Sexualität vereinfacht (wenn man sein ständiges, imaginäres Lautenspiel und Bartkratzen als die Verkörperung von Sex hinnehmen will), mit dem die anderen Charaktere in Kontakt und Konflikt geraten sollten.

Auch alle anderen Figuren werden zu Allegorien und dadurch zu blutlosen Statuen: So verkörpert beispielsweise Zerlina durch ewiges Eis-Essen und Röckchenflattern die Untreue, Donna Anna mit stetem Abwischen der Hände die Scheinheiligkeit, Donna Elvira mit igelartiger Perrücke und überdimensionalem Hintern aggressive Weiblichkeit, und Leporello durch chronisches Applaudieren sadistischen Voyerismus.

Ein asexueller Don Giovanni?

Das Tempo der Handlung ist verloren, die Spannung verflogen. Die Prinzipien stehen an der Rampe und singen systematisch das Publikum an. Wo ist der Streit? Wo ist der Konflikt mit der Sexualität? Nach der Pause sitzt nur noch die Hälfte des Publikums im Saal. Und es ist immerhin Mozart.

Ein Würstchen zur Versöhnung

Die Lösung dieses nicht-inszenierten Konflikts erfolgt denn auch ohne jeglichen Spannungsaufbau in der letzten Szene: Don Giovannis Leib wird urplötzlich von den anderen Figuren in Stücke gerissen. Das übrig gebliebene Publikum wird für seine Ausdauer belohnt: Am Schluss werden wir vom triumphierenden Chörlein auf die Bühne ins Restaurant „Giovanni“ zu einem Würstchen eingeladen. Immerhin.

Wolfgang gewinnt

Leidet zwar das Auge, gewinnen doch die Ohren: Dirigent Alfred Eschwé beglückt mit einer bescheidenen und feinen Interpretation, der es auch nicht an Dramatik fehlt. Ein musikalischer Hochgenuss sind die Accompagnati mit Hammerklavier, die einen durch ihre Verspieltheit schmunzeln lassen.

Manche der Sänger liefern das, was der Inszenierung fehlt: So zum Beispiel der Don Giovanni des Abends, Günter Haumer, der uns immerhin mit viel Schmelz in der Stimme ein wenig Sexualität suggeriert. Besonders begeistert der Bass-Bariton Stefan Cerny als Leporello: Der Musiktheater-Preisträger 2019 gibt dem Publikum mit seiner satten Stimme viele verschiedene Farben und schön gestaltete Rezitative. Und endlich richtet ein Komtur, der stimmlich Angst einflößt: Yasushui Hirano mit kraftvollem, düsteren Bass.

Donna Elvira, gesungen von Manuela Leonhartsberger, leidet hörbar unter Inszenierung und Partie. Die junge, schlanke Stimme kann die Rolle der rachsüchtigen Furie nicht ganz erfüllen. Auch Kristiane Kaiser als Donna Anna kämpft am Anfang, ist es doch ein dramatischer Einstieg. Doch spätestens bei „Non mi dir“ hat sie das Publikum mit schimmernden Piani am Haken. Ihr Gatte, Don Ottavio, ist einer jener seltener Tenöre, bei denen man sich entspannt zurücklehnen kann. Dank an JunHo You.

Am Ende des Abends kaue ich an meinem Frankfurter und fühle mich alles andere als befriedigt… Eine Portion Kren hätt’s gebraucht.

Titelbild © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.

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