Proberaum neo soul

Der neue Neo Soul

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Kurz nach Beginn des neuen Jahrtausends steckte Soulmusik in einer Flaute. Doch spätestens seit Vulfpeck Funk wieder hip gemacht hat, ist sie wieder auf dem Vormarsch. Auch der jüngste Sprössling des Genres zeigt zunehmend, dass seine Zeit noch lange nicht vorbei ist.

Jazz (We’ve Got)

Das new Kid on the Block heißt Neo Soul und zieht alle Register der gesamten afroamerikanischen Musikgeschichte, auf dem Fundament des HipHop, mit einer gehörigen Portion Jazz. Dadurch entsteht eine unglaubliche Bandbreite an musikalischen Möglichkeiten und ein dennoch unverwechselbarer Sound.
Diese Vielseitigkeit macht es aber auch schwierig zu datieren, wann er genau entstanden ist. Pionierarbeit hört man bereits in den ersten Alben von A Tribe Called Quest und sogar schon in den frühen Prince Alben aus den 80er Jahren. Eindeutig, dass es tatsächlich eine neue Richtung des Souls ist und nicht nur eine Strömung, war es aber spätestens 1995 mit der Erscheinung von D’Angelos Brown Sugar.

Drunk

Mit den Soulquarians, insbesondere durch deren Drummer und Produzent, Questlove, entstand zu dieser Zeit ein komplett neuer Stil des Drumming. Heute ist er als Dilla-Style oder Drunk-Style bekannt und aus dem modernen HipHop und R’n’B quasi nicht mehr wegzudenken. Der Groove wird hier beabsichtigt etwas schlampig, oder „drunk“ gespielt, was das entspannte, ruhige Feeling des Neo Soul erzeugt. Das klingt zunächst einfach, ist aber deutlich schwieriger, glaubwürdig live zu performen, als man glauben möchte.

Seitdem hat das Genre jede nur erdenkliche Richtung eingeschlagen. Von jazzy begleitetem Rap, über easy listening Grooves mit souligen Gitarren und Wurlitzern, bis hin zu Synth-lastiger, elektronischer Musik.
Im Vordergrund steht musikalisch, wie auch inhaltlich, die Liebe zur afroamerikanischen Kultur. Dabei wird es auch gerne mal politisch.

Other Side Of The Game

Dieser große Reichtum an Facetten und Experimentierfreudigkeit geht aber auch mit einer sehr geringen Kompromissbereitschaft einher, was wahrscheinlich der Grund war, warum es Mitte des ersten Jahrzehnts des Millenniums fast von der Bildfläche verschwand.

Vielleicht ist die Digitalisierung der Musikproduktion der Anlass für die Rückkehr des Neo Souls. Brauchbares Equipment passt mittlerweile nicht nur in ein Schlafzimmer, sondern auch ins Budget von jungen Künstler*innen. Die Verlagerung des Marktes aus den Plattenläden ins Internet bindet Interpreten nicht mehr an eine Radiotauglichkeit. Heute ist Platz für Entfaltung und Unabhängigkeit, den es vor zehn Jahren noch nicht gab.

Next Livetime

Die Next Wave hat genau da angeknüpft wo Neo Soul aufgehört hat. Sie ist bunt, chaotisch, interessant und unabhängig und hat spätestens mit Childish Gambino bewiesen, dass Soulmusik immer noch in den Mainstream passt.
Die umfassende, stilistische Bandbreite lässt viel Raum für viele virtuose Künstler, wie Shrek Is Love, die offensichtlich einfach nur Freude an der Musik haben:

Aber auch inhaltlichere Kunstschaffende, die politisch Relevanteres zu sagen haben als Hommagen an die Shrek Filme, zum Beispiel Ego Ella May:

Embrace What We Are

Als Subgenre des HipHop ist es bemerkenswert, dass hier kein omnipräsenter Frauenhass herrscht. Frauen haben in diesem Genre schon seit Beginn als Künstlerinnen eine große Rolle gespielt. Auch die Texte der männlichen Interpreten erinnern oft viel mehr an 60er Soul-Balladen, die sich mit respektvollen emotionalen Beziehungen zur Person auseinandersetzen, statt sich auf Sex zu reduzieren.

Nicht-afroamerikanische Interpreten vertreten heutzutage ebenso Neo Soul. Einer ihrer wichtigsten ist Moonchild. Sie finden aber einen guten Umgang, oder haben zumindest ein Bewusstsein für das Problem der Cultural Appropriation.
„The privilege you enjoy comes from someone elses expense…“, zitiert die Frontwoman Amber Navran die Aktivistin Brittany Packnett in einer kurzen Pause ihres, nebenbei bemerkt sehr zu empfehlenden, Konzertes bei Tiny Desk Sessions und erklärt in einem Spendenaufruf, dass Spenden von Privilegien keine Wohlfahrt sind, sondern Solidarität.

So Far To Go

Die Next Wave ist insgesamt eher die logische Fortsetzung des Neo Soul als ein Revival und erkundet endlich die Möglichkeiten, die jetzt schon mindestens 25 Jahre bestehen. Zwar wird sie aufgrund ihrer Komplexität und Kompromisslosigkeit wohl weiter Szenemusik bleiben, aber sie hat musikalisch wie auch inhaltlich einiges zu bieten, wovon sich die Mainstream-Popmusik auf jeden Fall noch ein paar Scheiben abschneiden kann.

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