Besoffen auf der Bühne? Alkohol in der Musikszene

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Die Musikszene ist vom Klischee befangen, eng mit übermäßigem Alkoholkonsum verbunden zu sein. Doch was ist dran an den Gerüchten über die Partys im Backstagebereich? Und inwiefern spielt Alkohol im Alltagsleben von Musikschaffenden eine Rolle? Wir haben mit einigen Musikschaffenden aus unterschiedlichen Bereichen der österreichischen Musikszene gesprochen, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

Manche denken bei Livemusik zuerst an Clubs, andere an Festivals und wieder andere an die Oper. Überall wird Musik konsumiert, um eine gute Zeit zu haben, meist in Gesellschaft anderer. Wie sehr die Musik dabei im Mittelpunkt steht, kann stark variieren. Vom Wochenendexzess mit Clubbing, über den gemütlichen Jazz-Gig mit Bier, bis hin zum Opernbesuch, begleitet von einem gepflegten Gläschen Sekt oder Wein in der Pause. Dass im geselligen Miteinander der Konsum von Alkohol in unserer Gesellschaft obligatorisch ist, hat direkte Konsequenzen für den Musikkonsum. Das geht so weit, dass bestimmte Musikrichtungen direkt damit verbunden werden. „Ich bekomm‘ bei Techno ganz besonders Lust auf Alkohol. Weil ich Lust hab‘ fortzugeh’n“, verrät eine Wiener Sängerin*: „Das ist auch oft Musik, die ausgelegt ist für angerauschte Leute“.

Musikschaffende müssen unterhalten

Man konsumiert Musik der Unterhaltung wegen. Allerdings kann dies, je nach Erwartungshaltung, von den Musikschaffenden Unterschiedliches fordern. Von Solist*innen wird bei Konzerten Perfektion und äußerste Exzellenz erwartet, wie uns ein solcher* erklärt: „In meinem Sektor, in dem man oftmals an seinem persönlichen Limit operiert, ist es für mich vollkommen undenkbar, mit auch nur einem Tröpfchen Restfetten auf die Bühne zu gehen.“ Andernorts werden an die Musik ganz andere Ansprüche gestellt. „Leute gehen feiern, wo Musiker arbeiten. Und beim Feiern ist bei uns in Österreich einfach immer Alkohol dabei. Dadurch entsteht ein Berufsbild, das stärker von Alkohol geprägt ist, als viele andere. Barkeeper sind vielleicht vergleichbar“, erzählt ein Musiker*, der unterschiedliche musikalische Milieus bedient. „Ich würde zum Beispiel nie eine Hochzeit spielen, ohne wenigstens ein bissi was zu trinken. […] Es geht um Verbundenheit auf der Bühne. Und wenn alle Alkohol trinken, fühle ich mich einfach leichter verbunden, wenn ich auch trinke.“ Eine andere Musikerin schildert es so: „Grad als Frontperson einer Band ist es leichter, sich locker zu fühlen.“ Überall wo Leute Musik als Bestandteil des Partymachens sehen, ist es die Aufgabe der Musikschaffenden, diese Partystimmung zu verbreiten, wie ein weiterer Musiker aus der Popszene erzählt: „Du schmeißt eigentlich die Party auf der Bühne und feierst mit, mit den Leuten.“ Natürlich ist es dafür nicht unbedingt nötig, selbst Alkohol zu konsumieren. Oft wird dies vom Publikum allerdings erwartet.

Alkohol und Kreativität

Ein Begriff tritt immer wieder in der Vordergrund, wenn man Musikschaffende nach der Bedeutung von Alkohol fragt: Hemmschwelle.

„Du kommst dir nicht so vor wie ein Hampelmann, sondern ein bissi mehr wie ein Entertainer“ – Gitarrist und Sänger

Sei es die Hemmschwelle, sich beim Performen mehr zu bewegen, beim Solieren mehr zu wagen und sich selbst herauszufordern, oder überhaupt erst auf die Bühne zu gehen. Sei es eine Jamsession in einer gemütlicher Bar, oder ein Konzert vor vielen hundert Menschen. „Von den Leuten, die ich da so kenn‘, bin ich einer der Einzigen, der eigentlich immer nüchtern auf der Bühne steht“, erzählt ein Saxophonist* über die Konzertsituation im Ensemble. Jene, die sich entscheiden, nüchtern spielen zu wollen, sei es bei Konzerten oder entspannten Sessions, berichten, dass dies selten auf Unmut stößt. Das mag damit zusammenhängen, dass die Meisten meinen, sie seien mit ihrem Spiel deutlich zufriedener, wenn sie nüchtern sind.

„Klar fühlt sich so ein Solo geil an, wenn‘st was ‘trunken hast, aber wenn du dir dann nachher die Aufnahme anhörst, dann beißt‘ da in Arsch.“ – Saxophonist

Der Alkoholkonsum wird von vielen nicht als kreativitätsbeflügelnd verstanden, sondern als entfesselnd und auflockernd unter Einbuße der eigentlichen musikalischen Fertigkeiten.

Der Mythos der alkoholisierten Musiker*innen

Wer kennt nicht die Geschichten: Alle Musiker*innen haben Alkoholprobleme. Wer nicht ständig betrunken ist, ist eigentlich gar kein*e richtige*r Musiker*in. In manchen Bereichen mögen diese Bilder zutreffen, vielleicht aber nicht in jenen, von denen man es erwarten würde. „In Orchestern und Chören gibt es einen irrsinnigen Trinkkult. Eigentlich teilweise eine Verherrlichung von Alkoholismus. […] Ich hab‘ das schon erlebt bei großen und wichtigen Chören, dass in den Garderoben über nichts anderes geredet wird, als übers Saufen vor der Vorstellung und auch teilweise mit schwerem Rausch auf die Bühne gegangen wird“, erzählt ein Sänger.

Ähnliches wird über Blaskapellen und Bigbands berichtet. Über viele Größen der österreichischen Jazzszene gibt es zahlreiche vergleichbare Geschichten. Viele Musiker*innen aus der Popularmusik im Alter zwischen 20 und 30 berichten allerdings, dass überall dort, wo Professionalität gefragt ist, also Leistungen zuverlässig abrufbar sein müssen, für sie (zumindest übermäßiger) Alkoholkonsum keinen Platz habe. Die Geschichten der Sturzbesoffenen oder Eingedröhnten dürften hauptsächlich vorherigen Generationen angehören.

Vitamin B steht für Bier

Alkohol ist dennoch auf eine andere Art ein wesentlicher Bestandteil der Musikszene. Dass nach einem Konzert oder am Ende einer Tour noch ordentlich gefeiert wird, gehört eigentlich zum guten Ton. Dort besteht oft der, wie allgemein in der Gesellschaft, gegebene Druck zum Alkoholkonsum. Wer am heftigsten feiert, gilt als gesellig und wird gerne wieder engagiert. Ein Popmusiker* erzählt: „Oft ist es gar nicht so wichtig, wie gut ma‘ wirklich spielt, um Jobs zu kriegen, wenn ma‘ mit den richtigen Leuten sauft, oder Leute beim Fortgehen kennenlernt.“ In der Szene etablieren sich also oft doch jene, die dem gemeinsamen Alkoholkonsum nicht abgeneigt sind, wenn auch nicht unbedingt auf der Bühne.


*Name der Redaktion bekannt

Gitarre- und Tonmeister-Studium.
Band-member of Full Of Thoughts.
Teilzeit Physikstudent.
Teilzeit politisch aktiv.
Nie wirklich Zeit für die Teilzeit-Aktivitäten...

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