Wie trenne ich mich von toxischen Freundschaften?

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Eine Freundschaft beschreibt ein beiderseitiges inniges Verhältnis von Menschen zueinander. Was aber, wenn dieses Verhältnis belastend oder gar toxisch wird? 

Wie geht es mir eigentlich dabei?

Toxisch ist ein Begriff, der gerade in den letzten Jahren massiv an Bedeutung und Gebrauch gewonnen hat. Aber was heißt das eigentlich genau? Kann eine Freundschaft, die man eigentlich mit einem Menschen eingeht, den man für gewöhnlich auch gerne hat, überhaupt „toxisch“ sein? Toxisch bedeutet übersetzt giftig und geht in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen häufig mit einem narzisstischen Verhalten einer der Beteiligten einher. Es kommt oft vor, dass Personen mit kleinen abfälligen Kommentaren systematisch runtergemacht werden, mit dem Ziel, ihr Selbstwertgefühl zu mindern. Jedoch muss man beim Gebrauch des Begriffs vorsichtig sein, weiß Psychotherapeutin Flora Geisler und erklärt: „Prinzipiell muss man sagen: Die ganze Freundschaft kann eigentlich nicht toxisch sein. Rein vom Begriff her ist eine Freundschaft eigentlich nichts Negatives oder Schlechtes“, und fügt an: „Man kann vielleicht eher sagen, dass es toxische Situationen, Momente oder Konflikte gibt, die eben schwieriger sind.“

Wahrscheinlich hatten wir alle schon einmal Freundschaften, die uns irgendwie nicht gut getan haben oder in denen wir uns immer wieder ausgelaugt gefühlt haben. Vielleicht stecken einige von uns aber immer noch mitten in einer solchen Freundschaft, ohne Bewusstsein dafür, warum sie nicht einfach die Reißleine ziehen. Oft scheint es so, dass man gar nicht mehr weiß, wie man so schnell in diese scheinbar gute Beziehung zueinander reingerutscht ist, und plötzlich findet man sich nach einem Treffen oder Telefonat mit dieser Person energielos und angestrengt wieder – warum ist das so? Frau Geisler weiß: „Wir werden ständig von unserem Umfeld, von der Arbeit und auch von unseren Freunden angefragt. Oft vergessen wir dann uns selbst auch einmal anzufragen und zu schauen: Wie geht es mir? Was macht das mit mir? Was löst es in mir aus?“ Der Kontakt zu seinen eigenen Emotionen und Empfindungen ist hier also unumgänglich. Wenn wir den verloren oder nie so wirklich gepflegt haben, fällt es uns oftmals schwer, überhaupt zu bemerken, wann uns beispielsweise eine Freundschaft oder eine gewisse Person nicht mehr guttun.

Wieso kann ich mich nicht trennen?

Sich diese Fragen zu stellen und auch zu beantworten, kann vieles erleichtern. Natürlich haben wir alle mal Tage, an denen wir ein Treffen am liebsten absagen würden, weil wir einfach keine Lust dazu haben – und auch das ist vollkommen okay! Das ist aber noch lange kein Indikator dafür, eine Freundschaft gleich aufzugeben oder alles zu hinterfragen. „Am Anfang würde ich mich fragen, was genau an der Freundschaft mir nicht guttut. Höchstwahrscheinlich ist es gar nicht die ganze Person, weil sonst wäre ich ja in erster Linie gar nicht mit ihr befreundet. Wir sollten uns genau anschauen, in welchen Situationen wir merken, dass uns etwas daran belastet oder ob es Aussagen, Konflikte oder gewisse Themen sind, die ein negatives Gefühl auslösen. Dann sollten wir schauen, ob das nur ein Thema bei der Person ist oder ob das vielleicht auch ein Thema bei uns selbst ist“, erklärt Psychotherapeutin Flora Geisler. Wenn wir uns somit auf eine kleine Reise zu unseren Emotionen begeben, sollten wir herausfinden, wieso wir ein schlechtes Gefühl bei dieser Freundschaft haben. Oft kann es allerdings passieren, dass wir eine ambivalente Haltung einnehmen und somit diese Freundschaft mehr oder weniger über Jahre hinweg mittragen, obwohl wir im seltensten Falle positiv aus einem Treffen herausgehen.

Wieso schaffen wir es also nicht, uns von dem Ballast zu trennen? „Bei Freundschaften gibt es emotionale Verbundenheit und man baut sich etwas auf. Man gibt auch sehr viel von sich und steckt schon auch sehr viel Kraft hinein. Das heißt: Man gibt das ja auch nicht einfach so wieder auf“, sagt Frau Geisler und fügt an: „Generell ist das Thema Trennung und Abschied für die meisten Menschen sehr, sehr schwierig.“ Genau wie bei Freundschaften baut man sich auch in romantischen Beziehungen gemeinsam etwas auf und investiert viel Kraft und Gefühl. Kann es sein, dass wir viel eher eine „schlechte“ Beziehung kappen als eine vermeintlich schlechte Freundschaft? Psychologin Flora Geisler beschreibt, dass ein möglicher Punkt sein könnte, dass man bei Freunden meist eher über etwas hinwegsehen kann und romantische Beziehungen meist viel schneller intensiver sind. Sie sagt: „Wenn da etwas nicht passt, dann ist es vielleicht nicht unbedingt leichter, aber man kann sich mitunter schneller davon lösen. Das könnte also ein möglicher Punkt sein.“ Wir bemerken also manchmal bei romantischen Beziehungen viel schneller, dass es einfach nicht passt und unsere Vorstellungen nicht vereinbar sind. Bei Freundschaften zögern wir diesen endgültigen Schlussstrich manchmal hinaus.

Wie mache ich am besten Schluss?

Wenn wir aber merken: Es geht nicht mehr und wir müssen die Freundschaft beenden, wie können wir dann optimal damit umgehen? Wie schaffen wir es, uns von dieser Freundschaft zu lösen und ein für alle Mal einen Schlussstrich zu ziehen? „Es ist natürlich ganz schön, wenn man sagt, man gibt eine Freundschaft nicht gleich auf und man probiert zuerst es anzusprechen. Das muss man aber einfach offen kommunizieren können, damit sich der oder die andere auch auskennt“, erklärt Flora Geisler und fügt im nächsten Atemzug an: „Wenn man aber merkt, eigentlich habe ich gar nichts mehr von dieser Freundschaft und es schadet mir nur noch, dann muss man das ansprechen und sagen: Momentan geht es einfach gerade nicht!“ Dieses Ansprechen fällt uns in den meisten Fällen sehr schwer. Offenheit und Ehrlichkeit sind zwar Eigenschaften, die wir gerne bei unserem Gegenüber finden, die uns dann aber in schwierigen Situationen oft selbst fehlen.

Die Psychotherapeutin weiß, dass wir als menschliche Wesen nicht gerne in unangenehme Situationen kommen und wir uns eben deswegen Situationen suchen, die gut und schön sind. Diese Vermeidung von Unangenehmem fügt uns und vor allem unseren Mitmenschen noch viel größeren Schmerz zu. „Dabei ist uns gar nicht bewusst, dass ein sich Zurückziehen auch eine Botschaft ist und es der oder die andere natürlich merkt. Das ist dann aber noch viel schwieriger für den anderen, weil man nicht weiß, woran man ist und dann erst recht nicht damit abschließen kann“, erklärt die Therapeutin. Dieses Gefühl, zurückgelassen zu werden mit unbeantworteten Fragen und vielleicht auch Trauer um die verlorene Freundschaft oder Beziehung, ist furchtbar, und gerade in unserer heutigen Gesellschaft ist ein wortloser Kontaktabbruch nicht mehr unüblich. Aber auch Frau Geisler weiß, dass es nicht immer ganz so einfach ist: „Es ist natürlich eine Herausforderung, Dinge anzusprechen, aber genau das kann einem selbst helfen zu wachsen. Sich auch mal zu fragen: Bin ich mir das selbst wert, dafür einzustehen? Für meine Gefühle? Für meine Empfindungen? Und am Ende des Tages sollten wir diese Fragen immer mit einem „Ja“ beantworten.“

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