Nur noch 9 Jahre Zeit. Radikale Antworten auf die Klimakrise.

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© Titelbild: Markus Spiske / Unsplash

Die Zeit läuft ab. Bis 2030 müssten die weltweiten CO2 Emissionen mindestens halbiert werden, um einen ökologischen Kollaps noch zu verhindern. Die Tatenlosigkeit der Regierungen treibt weltweit immer mehr Menschen dazu an, sich der Klimagerechtigkeitsbewegung anzuschließen. Doch wie radikal muss die zivilgesellschaftliche Antwort ausfallen, wenn die Bedrohung nicht weniger radikal ist, als die Zerstörung unserer Lebensgrundlage?

„Wie könnt ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Versprechen?“ als sich Greta Thunberg mit diesen Worten an die internationale Staatengemeinschaft richtet ist ihr Gesicht vor Wut verzerrt. Jede*r der anwesenden Staats- und Regierungsoberhäupter*innen habe versagt, der Bedrohung durch die Klimakrise mit tatsächlichem Handeln zu begegnen. Sie sollen es nicht weiter wagen, droht sie, Märchen vom unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstum zu erzählen, während wir uns am Anfang eines Massenaussterbens befinden.

„Die Augen aller zukünftigen Generationen sind auf euch gerichtet. Und wenn ihr euch entscheidet, uns im Stich zu lassen, dann sage ich: Niemals werden wir euch verzeihen.“

Greta Thunberg

Die emotionsgeladene Rede Greta Thunbergs auf dem UN-Klimagipfel am 23. September 2019 war der lautkräftige Höhepunkt des wohl erfolgreichsten Jahres der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Seit dem Beginn der wöchentlichen Schulstreiks der Klimaaktivistin vor dem schwedischen Parlament, waren Tausende dem Aufruf Thunbergs gefolgt, dem politischen Stillstand im Klimaschutz den Kampf anzusagen. Diese Mobilisierungskraft mündete am 15. März 2019 im ersten weltweit organisierten Klimastreik der Fridays for Future Bewegung (FFF), der rund 1,8 Millionen Menschen auf die Straße trieb, um ihre nationalen Regierungen aufzufordern sofortige und umfassende Klimaschutzmaßnahmen im Sinne des 1,5 Grad Zieles des Pariser Klimaabkommens zu setzen.

Doch anstatt den Ambitionismus jener zu loben, die unentwegt versuchen, das Ruder auf der Fahrt in eine ökologische Katastrophe noch herumzureißen, wird lieber darüber diskutiert, wie man junge Menschen davon abhält plötzlich freitags die Schule zu schwänzen. Der unverkennbar harte neue Tonfall, den Greta Thunberg bei ihrer Rede am UN-Klimagipfel angeschlagen hat, wird in diesem Kontext zur Bestätigung dafür, was schon länger in den Kommentaren medialer Berichterstattungen zu den Fridays for Future Protesten gemunkelt wird – die Klimabewegung befindet sich auf dem Weg der Radikalisierung.

Mit zivilem Ungehorsam zur Energiewende

Dass die öffentliche Reaktion auf die Klimagerechtigkeitsbewegung so durchwachsen ausfällt ist wohl auch den radikalen Ansprüchen zu schulden, denen sie entspringt. Das Gebot lautet: „alle Karten (wissenschaftliche Fakten) auf den Tisch“. Die Klimakrise stellt eine existenzielle Bedrohung für die Menschen und Arten dar und um dieser zu begegnen braucht es mehr als Energiesparlampen und Elektroautos. Stattdessen gilt es einen tiefgreifenden Wandel in unserer Lebens- und Wirtschaftsweise anzustoßen. Die wohl wichtigste Forderung auf diesem Weg: das Ende der Verbrennung fossiler Energieträger.

Die zentrale Protestform auf welche die Klimabewegung dafür setzt: ziviler Ungehorsam. Ziviler Ungehorsam bedeutet dabei im Wesentlichen, das bewusste Verletzen von Gesetzen und gesellschaftlichen Normen, um auf ein wahrgenommenes Unrecht aufmerksam zu machen. In sozialen Bewegungen stellt ziviler Ungehorsam ein mächtiges Mittel dar um Ziele zu erreichen, das erkannten schon bekannte Weltveränderer wie Mahatma Gandhi oder Rosa Parks.

„Es geht darum etwas zu stören und durch diese Störung Aufmerksamkeit zu erregen. Aber auch darum, Druck auszuüben auf die Regierungen.“ erzählt uns Stella Indira Auer, Aktivistin beim österreichischen Ableger der Klima-Bewegungsorganisation Extinction Rebellion (XR). Im medialen Diskurs wird Extinction Rebellion oftmals als die „radikale Schwester“ der Fridays for Future Bewegung genannt. Der Ausdruck dieser Radikalität bleibt zumindest in Österreich bei kurzweiligen Straßenblockaden und verschüttetem Kunstblut.

„Ob ziviler Ungehorsam angemessen, richtig und gut ausgeübt wird muss immer im individuellen Fall bewertet werden.“ so Auer. Wie weit dieses Mittel des Widerstandes gehen darf wird, von den vielfältigen Akteuren der globalen Klimabewegung unterschiedlich ausgelegt. Dennoch wird hier bisher eine klare gemeinsame Grenze gezogen – niemals darf durch zivilen Ungehorsam ein Mensch zu Schaden kommen.

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Dass sich die Klimabewegungen weiterhin so eisern von der Gewaltfrage distanzieren, ist vor allem beachtlich hinsichtlich einer Besonderheit, die sie von allen anderen ihr vorhergegangenen sozialen Bewegungen unterscheiden – dem Faktor der Zeit. Das Symbol von Extinction Rebellion, ein Kreis stellvertretend für den Planeten und eine stilisierte Sanduhr, sollen genau auf jene Dringlichkeit hinweisen. Dass die Zeit zu handeln unaufhaltsam davonrinnt. Nach Angaben des Weltklimarates IPCC müssen wir unsere weltweiten CO2 Emissionen bis 2030 mindestens halbiert und bis 2050 auf Netto Null reduziert haben, um einer Klimakatastrophe zu entgehen. Umso mehr Zeit noch verspielt wird, umso radikaler muss unsere Kehrtwende aussehen und umso schwerwiegender werden uns ökologische, aber auch soziale und ökonomische Folgen treffen.

Die Klimabewegungen befinden sich daher auch weiterhin in einem konstanten Aushandlungsprozess darüber, wie radikal sie angesichts der Dringlichkeit der Bedrohungslage vorgehen müssen und wie radikal sie angesichts ihrer Prämisse des Gewaltverzichts vorgehen können. Dennoch wird ziviler Ungehorsam nach Einschätzung von Dr. Giuseppe Delmestri, Professor für Change Management and Management Development an der WU Wien und Mitbegründer der Organization Scientists 4 Future, der einzige Weg bleiben um reale Veränderungen zu erzielen:

„Die Politik versteht sich zu sehr als ein Markt der Kundenbedürfnisse befriedigt. Und solange diese Bedürfnisse nicht deutlich und spürbar gemacht werden, wird sie nicht reagieren. Die einzige Möglichkeit, um zu zeigen, dass man nicht im Konsens ist, ist (hoffentlich gewaltfreien) zivilen Ungehorsam auszuüben.“

(Wann) radikalisiert sich die Klimabewegung?

In jüngster Zeit hatten Vorfälle des Zerschlagens von Schaufenstern durch Aktivist*innen bei Protestaktionen von Extinction Rebellion in London für Entrüstung gesorgt. Auch das Aktionsbündnis Ende Gelände welches vor allem in Deutschland für den sofortigen Braunkohleausstieg organisiert, fällt immer wieder durch Anzeigen wegen Hausfriedensbruch oder kleinere Sachbeschädigungen in öffentliche Ungnade. Solche Vorkommnisse bieten natürlich für Kritiker*innen der Klimabewegungen einen idealen Anlass um das altbekannte Argument mit der Radikalisierung wieder aufzurollen.

„Ein paar Schaufenster zu zerschlagen in einer Aktion, wo kein Mensch zu Schaden kommt wird als radikal angesehen, aber die Zerstörung unserer Regenwälder und das tägliche Verschwinden von Spezies, das wird einfach so angenommen. Radikal sind diejenigen die unser Überleben zerstören.“ kommentiert Dr. Giuseppe Delmestri diese Vorfälle.

Es ist nicht abzuschätzen, in welche Richtung sich die Klimabewegungen entwickeln werden, wenn der Handlungsspielraum kleiner und die Politik weiterhin tatenlos bleibt. Unter der Dringlichkeit der Umstände ist nicht auszuschließen, dass an manchen Enden der zumeist dezentral organisierten Klimabewegungen Gebote des Gewaltverzichts überschritten werden könnten. Dennoch „Es hilft nichts zu behaupten: Radikal sein ist schlecht, es geht darum es gut zu machen. Ich denke, das wäre der richtige Ansatzpunkt. Zu schauen, dass wir gemeinsam auf konstruktive Weise handeln und auch so kritisieren.“ so Aktivistin Stella Indira Auer. In diesem Sinne müssen die Klimabewegungen wiederkehrend über den Einsatz jeder Form von Gewalt bei Protesten reflektieren und dort auch eindeutige Grenzen ziehen, erklärt sie.

Was aber noch viel gefährlicher ist, als eine Radikalisierung vereinzelter Gruppen, ist die Resignation der großen Masse. Sollte die Jugend irgendwann erkennen müssen, dass ihre lebenswerte Zukunft weiterhin für politische und wirtschaftliche Interessen von heute aufs Spiel gesetzt werden wird, kann das fatale Folgen für die Demokratie und den generationalen Zusammenhalt haben. Es sollte daher ein neuer Generationenvertrag geschlossen werden – nachdem sich die jungen Generationen nun ein Jahr während der Pandemie solidarisch und rücksichtsvoll verhalten haben, lege es nun an den alten Generationen sich Seite an Seite mit ihnen für sofortiges Handeln im Klimaschutz einzusetzen.

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