Ein musikalischer Roadtrip – Big Thiefs neues Album „Dragon New Warm Mountain I Believe In You“

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Die aus Brooklyn stammende Band Big Thief, bestehend aus der Frontsängerin Adrianne Lenker, dem Gitarristen Buck Meek, dem Bassisten Max Oleartchik und dem Schlagzeuger James Krivchenia hat mit „Dragon New Warm Mountain I Believe In You“ ihr mittlerweile fünftes Album veröffentlicht. Die zwanzig Lieder starke Platte erzählt eine Geschichte nahe am Leben: über Ängste, die Verletzbarkeit aber auch die Schönheit der Welt und über die versöhnliche Erkenntnis, dass man sich vielleicht einfach nicht so ernst nehmen sollte.

Im Vergleich zu den vorherigen Alben von Big Thief ist in diesem Album spürbar, dass sich die Band auf eine Reise begeben hat. Nicht nur im kreativen Sinn, denn um neue Inspirationen zu bekommen, sind die vier Bandmitglieder zwischen Upstate New York, dem Topanga Canyon (Kalifornien), den Colorado Rockies und Tucson (Arizona) herumgereist. Gerade durch Lieder wie Time Escaping fühlt es sich so an, als würde man die Band auf ihrer Reise begleiten: Das wilde Zupfen der Gitarre streckt sich durch das gesamte Lied und simuliert, wie die Kulissen beim Blick aus dem Fenster im Schnelldurchlauf vorbeiziehen. Passend zum Titel ist die Zeitwahrnehmung beim Reisen durch die vielen Eindrücke wie verlangsamt. Ein Weg, wie man der Zeit entkommen kann.

Von links nach rechts: Buck Meek , James Krivchenia, Max Oleartchik, Adrianne Lenker | (c) Alexa Viscius, Beggars Group

Der Song Change wurde bereits vor der Platte veröffentlicht und war somit ein kleiner Ausblick auf die inhaltliche Richtung der neuen LP. Eine Ballade über die Gegensätze im Leben, dass Veränderung unaufhaltbar ist und deswegen die Ungewissheit immer ein begleitender Faktor sein wird.

Would you live forever, never die
While everything around passes?
Would you smile forever, never cry
While everything you know passes

Genau wie das Lied resignierend unterstreicht, wie schwer es ist Ungewissheit zuzulassen, spiegeln sich ähnliche Fragen beim Umgang mit Zweifeln in dem ebenfalls vorzeitig veröffentlichten Song Certainty. Auch wenn der Titel übersetzt Gewissheit heißt, legt der Text offen, dass nichts wirklich gewiss ist:

Maybe I love you
Maybe I love you is a river so high
Maybe I love you is a river so low
I love you, still don’t know

Gerade die Ungewissheit in Beziehungen ist hier vordergründig und die Liebe ein Thema, das sich mit allen Höhen und Tiefen immer wieder auf dieser LP finden lässt. In Love Love Love singt Adrianne Lenker mit einer Coolness darüber, wie stark die Anziehung zu einer anderen Person sein kann und wie schwer es ist, dieser zu widerstehen: „You’re the cigarette in my fist, you are so hard to resist.“ Parallel zum Gesang der Frontsängerin heult die Gitarre so vordergründig wie die spürbare Anziehung. So lange bis Adrianne verzweifelt darum bittet, ihre Liebe endlich wieder freizulassen. Auch im Lied Little Things schwingen die Gitarren omnipräsent mit, nur mit einem optimistischeren Unterton. Wahrscheinlich ganz bewusst, denn dieser Song handelt von der Hochphase des Verliebtseins, und das Gitarrenklirren wirkt wie das diffuse Gefühl, wenn einem der Kopf verdreht wird: „Maybe I’m a little obsessed, maybe you do use me“.

Dass dieses Gefühl auch ins Gegenteil umschlagen kann, vermittelt Blurred View – das Album bekommt dadurch in der Mitte einen traurigen Gegenpart. Dennoch wird mit The Only Place schlussendlich dann doch noch die tröstliche Erkenntnis gewonnen, dass die gemeinsame Zeit eine sehr bereichernde ist. Musikalisch wirkt dieses Stück wie ein Bonustrack des Soundtracks von Eddie Vedder zu dem Film Into the Wild. Und textlich folgt das Lied genau der Linie des Films. Wie Christopher McCandless am Ende des Films die Erkenntnis hat, dass Glück nur dann wirklich ist, wenn es geteilt wird, ergeben sich hier die gleichen Schlüsse:

When all material scatters
And ashes amplify
The only place that matters
Is by your side

Auf dem Albumcover von Dragon New Warm Mountain I Believe In You sitzen lustige Wesen um ein Lagerfeuer, und viele Momente auf diesem Album fühlen sich genauso an, insbesondere Promise is a Pendulum. Die sanfte Stimme von Adrianne Lenker erinnert an deren Lied Orange und wirkt entschleunigend im Vergleich zu den dynamisch gehaltenen Liedern des restlichen Albums. Umso mehr fühlt sich dieses Lied wie eine kleine Pause von der Reise und nach einem gemütlichen Abend am Lagerfeuer an.

Albumcover Dragon New Warm Mountain I Believe In You | (c) Alexa Viscius, Beggars Group

Zwischendurch schlagen Big Thief ungewohnte Wege ein und lösen sich aus der Melancholie. Songs wie Spoud Infinty, Red Moon und Blue Lightning wirken am Anfang noch etwas verwirrend, doch im Laufe des Albums machen diese Lieder immer mehr Sinn. Während in anderen Teilen des Albums die großen Fragen gestellt werden, zeigen diese Lieder, dass es gut tut, zwischendurch aus dem Kopf herauszukommen und einfach mal über sich selbst lachen zu können.

Diese neu gewonnene Lässigkeit der Band zeigt, wie viel musikalisch möglich ist, wenn der kreative Freiraum gegeben ist. In Heavy Bend sind plötzlich Elemente zu hören, die sehr an Four Tet erinnern und zeigen, wie sehr sich eine Band weiterentwickeln kann. Simulation Swarm handelt von vielen persönlichen Geschichten der Sängerin Adrianne Lenker: ein viertägiger Krankenhausaufenthalt durch körperliche Erschöpfung nach sieben Jahren Tour, eine Trennung, ihre schwierige Kindheit in einer von ihr beschriebenen religiösen Sekte und die konstanten Gedanken an ihren biologischen Bruder Andy, den sie nie persönlich kennengelernt hat. Musikalisch begleitet werden diese Lebensgeschichten jedoch so, dass kein Funke von Resignation aufkommt sondern vielmehr eine Aufbruchsstimmung sowie ein versöhnlicher Blick auf Erfahrenes.

Versöhnlich wirkt auch der Text des Songs Dragon New Warm Mountain I Believe In You, in dem die Schönheit unserer Erde besonders hervorgehoben wird und wie magisch die Kulissen sind, die uns umgeben. James Krivchenias leichtes Trommeln klingt wie ein kleines Feuerwerk passend zu diesen Kulissen.

Mit diesem Album zeigen Big Thief wie klein wir eigentlich im Vergleich zu unserem Planeten sind, und dass wir uns, obwohl wir ständige Höhen und Tiefen erleben, am Ende des Tages doch nicht so wichtig nehmen sollten.

Quelle Titelbild: (c) Alexa Viscius, Beggars Group

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