Soll Joe Biden den Mindestlohn verdoppeln? – „Es ist eine Frage der Humanität“

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Führt Joe Bidens Idee einer Verdoppelung des Mindestlohns in den USA zu höherer Arbeitslosigkeit? Zu mehr Geschlechtergerechtigkeit? Zu einer höheren Konsumnachfrage? Wir haben mit zwei Ökonominnen darüber gesprochen.

Joe Bidens Pläne für die amerikanische Wirtschaftspolitik sind radikaler, als so mancher dem sonst moderaten Demokraten zugetraut hätte: Unter anderem will der neue US-Präsident den gesetzlichen Mindestlohn bis 2025 stufenweise auf 15 US-Dollar (12,40 Euro) pro Stunde verdoppeln. Im internationalen Vergleich fällt der derzeitige gesetzliche Mindestlohn von 7,25 Dollar (5,99 Euro) pro Stunde in den USA extrem niedrig aus. Dennoch erntet Biden für seine strukturverändernde Idee auch im eigenen Lager nicht nur Zuspruch: So lehnt beispielsweise der demokratische Senator Joe Manchin den Vorschlag dezidiert ab.

Mehr Arbeitslosigkeit durch höheren Mindestlohn?

Auch zahlreiche Ökonom*innen zeigen sich skeptisch. Befürchtet wird vor allem, dass die Verdoppelung des Mindestlohns einen starken Beschäftigungsrückgang zur Folge haben könnte. Unternehmen in Niedriglohnbranchen würden Arbeitsplätze abbauen müssen, da es ihnen nicht möglich wäre, ihre Mitarbeiter*innen mit 15 US-Dollar pro Stunde zu entlohnen. So könnte es zu einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen. Eine neue Studie des unabhängigen Haushaltsamtes des US-Kongresses bestätigt diese Sorge: Die von Joe Biden angestrebte Erhöhung des Mindestlohns könnte bis zu 1,4 Millionen Arbeitsplätze vernichten. Die in New York geborene und aufgewachsene Ökonomin Alyssa Schneebaum empfiehlt jedoch, diese Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen: „Ich glaube, dass das wahrscheinlich eine Überschätzung ist. Ich weiß auch nicht, ob in dem Bericht genügend berücksichtigt wurde, dass wenn der Mindestlohn erhöht wird, die Unternehmen oft auch einfach die Preise erhöhen. Im Endeffekt zahlen also dann andere Konsumenten für diesen Mindestlohn.“

Viel wichtiger wäre ohnehin die andere zentrale Erkenntnis der Studie: Durch die Erhöhung des Mindestlohns würde die Zahl der in den USA in Armut lebenden Menschen um 900.000 sinken. „Die Armutsgrenze ist in Amerika so niedrig angesetzt, dass auch viele Menschen, die über dieser Grenze leben, irrsinnig arm sind. Das kann man sich in Europa gar nicht vorstellen. Die wichtigste Frage muss also sein, welche Maßnahmen kann die Politik treffen, um genau diesen Menschen zu helfen, die nicht mal genug Geld für Essen haben.“, meint die Ökonomin. Ob sie also findet, dass die Erhöhung des Mindestlohns eine wirksame Maßnahme gegen Armut in Amerika sein könnte? „Ja, das auf jeden Fall. Das ist glaub ich ziemlich unbestritten.“

Ganz so stimmt das nicht: „Ich bin allgemein eher skeptisch“, meint zum Beispiel die Ökonomin und Direktorin von EcoAustria Monika Köppl-Turyna. Ihre Studien zu europäischen Ländern mit gesetzlichem Mindestlohn haben gezeigt, dass dieser bis zu einer gewissen Schwelle keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung hat. Ab einer gewissen Höhe setzen sie jedoch ein. Wenn es durch die Einführung des Mindestlohns zu Beschäftigungsverlust kam, waren vor allem junge und niedrig qualifizierte Menschen davon überproportional betroffen. „Die Hauptursache für Armut ist Arbeitslosigkeit“, warnt Köppl-Turyna. Ob Bidens Mindestlohn jedoch die Schwelle übersteigt, ab der es zu einem negativen Beschäftigungseffekt kommen würde, ließe sich noch nicht seriös sagen.

Geschlechtergerechtigkeit durch höheren Mindestlohn?

Nicht nur junge Menschen, sondern auch Frauen sind in den Niedriglohnbranchen, die von einer Erhöhung des Mindestlohns betroffen wären, überproportional vertreten. Könnte Joe Bidens Mindestlohn also Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen fördern und den Gender-Pay-Gap verkleinern? Schneebaum ist sich sicher, dass es sich hier um einen Schritt in die richtige Richtung handelt: „Wenn Frauen mehr Einkommen haben, dann hilft das auf jeden Fall, weil dann haben sie auch mehr Entscheidungsmacht, mehr Freiheit. Wir wissen ja, dass auch domestic violence sehr häufig mit ökonomischer Abhängigkeit verbunden ist“, meint die Expertin, fügt aber hinzu: „Es ist noch immer sehr weit davon entfernt was man brauchen würde, um gegen Geschlechterungleichheit anzukämpfen.“

Monika Köppl-Turyna ist sich da nicht ganz so sicher und weist darauf hin, dass vor allem Frauen durch ihre häufig prekäre und schlecht bezahlte berufliche Situation von möglichen Kündigungen nach der Erhöhung des Mindestlohns betroffen sein könnten. Hier wären die Ergebnisse von Studien zwar nicht so robust, man könne aber davon ausgehen, dass es Frauen ähnlich wie jungen oder niedrig-qualifizierten Menschen ergehen würde. Ob die Erhöhung des Mindestlohns also eine sinnvolle Maßnahme gegen Frauenarmut und für mehr Geschlechtergerechtigkeit ist, hängt erneut davon ab, wie stark der negative Beschäftigungseffekt ist.

Höhere Konsumnachfrage durch höheren Mindestlohn?

Kann ein höherer Mindestlohn die private Konsumnachfrage stärken und somit die Wirtschaft ankurbeln? Besonders in Zeiten von Corona ist es angesichts der massiven wirtschaftlichen Einbußen zentral, der Bevölkerung positive Konsumimpulse zu geben. Schneebaum ist überzeugt, dass das zusätzlich ausgegebene Geld durch den erhöhten Mindestlohn sofort wieder im Wirtschaftskreislauf landet: „Das Geld, dass man diesen Leuten gibt wird sofort ausgegeben und landet direkt wieder in der Ökonomie. Das wäre sehr gut für die Wirtschaft. Wenn wir reichen Leuten Geld geben, dann landet das Geld irgendwo auf einem Konto und bringt anderen Menschen nichts.“ Auch Köppl-Turyna prognostiziert positive makrökonomische Effekte, wenn auch etwas vorsichtiger: „Es kann sein, dass diejenigen, die ihren Job nicht verlieren, dann mehr konsumieren.“


WISSEN

Österreich ist eines von sechs EU-Ländern, das keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn kennt. Mindestlöhne werden in Österreich allerdings durch die so genannten Kollektivverträge (KVs) geregelt, die zwischen einer Interessenvertretung der Arbeitgeber*innen- und einer der Arbeitnehmer*innenseite geschlossen werden.


Alternativen zum gesetzlichen Mindestlohn?

Welche Auswirkungen Joe Bidens Vorschlag also genau hätte, lässt sich noch nicht sagen. Aber gibt es Alternativen zum gesetzlichen Mindestlohn, die möglicherweise weniger Risiken bergen? Köppl-Turyna ist eher Verfechterin von kollektivvertraglichen Lösungen oder Betriebsvereinbarungen als von gesetzlichen Mindestlöhnen: „Ein Mindestlohn ist sehr unflexibel. Es gibt sehr heterogene Branchen und Menschengruppen.“ Individuelle Lösung, bei denen man innerhalb einer Branche oder innerhalb eines Betriebs abklären kann, was möglich ist und was nicht, seien demnach oft sinnvoller als „Regeln von oben“. Als Positivbeispiel nennt sie Skandinavien, wo Lohnvereinbarungen grundsätzlich innerhalb von Betrieben zwischen Gewerkschaften und Vertreter*innen der Arbeitgeber*innen erfolgen. 

Ob die Verdoppelung des Mindestlohns in den USA tatsächlich kommt ist ungewiss. Um das Gesetz verabschieden zu können bräuchte Joe Biden die Unterstützung mehrerer Republikaner, was unwahrscheinlich scheint. Schneebaum hofft weiter: „Es ist ein Wahnsinn, dass es so viele Familien in Amerika gibt, wo zwei Personen Vollzeit arbeiten und Mindestlohn verdienen, und trotzdem in Armut leben und sich keine Wohnung leisten können. Es ist eine Frage der Humanität.“

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