Peter Marius Huemer

Warten auf die Explosion – „Dies unfassbare Ding“

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Ein riesiger Schatten fällt über die Stadt, seit Jahren schon, nun soll er verschwinden: Mit dieser Ausgangslage beginnt der beim Septime Verlag erschienene zweite Roman des jungen Wiener Schriftstellers Peter Marius Huemer, Dies unfassbare Ding.

Von einem unansehnlichen Turm erzählt er und von Johannes Eichinger, Sprengmeister in einem maroden Unternehmen, das von der Stadt den Auftrag erhalten hat, diesen Turm zu sprengen und damit zumindest ein klein wenig die Gegend aufzupolieren:

Das Gebäude steht nicht nur den verarmten Menschen, sondern aller Zukunft in der Sonne. Es muss weichen – Johannes Eichinger soll es niederreißen.

Der Bahnhof, der hier einmal lag, existiert nicht mehr, das Hotel neben Gleisen und Turm ist verlassen bis auf den sich hartnäckig haltenden Rezeptionisten. Und weil der Chef des Sprengunternehmens in dem Projekt eine letzte Chance sieht, seine Firma wieder nach vorn zu bringen, ist der Druck entsprechend groß. So bessert es auch nicht gerade die Lage, dass bei Vorinspektionen seltsame Unregelmäßigkeiten im Bau entdeckt werden: Wände, die zu schräg sind oder kleine Kammern, die nicht eingezeichnet wurden. Johannes, um die 45 Jahre alt und ohne Lebensenergie, durch seine Schlaflosigkeit immer unfassbar müde und in einer kleinen Wohnung getrennt von Frau und Kindern lebend, gibt sich ein Wochenende Zeit, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und quartiert sich dafür in Zimmer 12 des sich schon längst außer Betrieb befindenden Hotels ein. Seine Kontakte beschränken sich hauptsächlich auf weinversunkene Abende mit dem alternden Rezeptionisten und die Stunden an der Bar des Bordells Rachel, wo er der jungen Psychologiestudentin Rebecca seine Unruhe anvertraut.

Das Mysterium des Turms webt sich in eine trostlose Kulisse. Es ist der Funke Energie, der dem Protagonisten und seinem Umfeld geblieben ist, der Auslöser, durch den sie in ihrer Einsamkeit und Depression verbunden werden. Die Schwierigkeit, Erklärungen für den Zustand des Turms zu finden, unterbricht Johannes in seiner Lethargie und konfrontiert ihn gleichzeitig mit seiner eigenen Machtlosigkeit. Das Gebäude wurde nie fertig gebaut, die Fassaden sind nicht einmal gestrichen: Als heller, heruntergekommener Monolith ragt der Turm über der Stadt und soll nun verschwinden, bevor er überhaupt je eine Funktion haben konnte. Die Sinnlosigkeit, die darin liegt, spiegelt sich auch in den Charakteren wider, verwandelt sich bei ihnen vielmehr zu einer Regungslosigkeit, zur Resignation vor dem Leben. Unterbrochen wird das durch nahezu surreale Partyszenen, bei denen Johannes im Vollrausch auf ambitionierte Investorinnen, den ursprünglichen Baumeister oder eine subtile Künstlerin trifft – und dennoch verstärken sie alle bloß die große Hoffnungslosigkeit, die sich wie der Turm schattengleich über alles legt – bis zur Explosion …

Peter Marius Huemer legt ein detailreiches und atmosphärisch dichtes Buch vor, das tief eintauchen lässt in eine düstere, mysteriöse, fast schon irrwitzige Szenerie und schmerzhaft deutlich macht, was wir nicht wissen können. Der Titel des Romans könnte also das mysteriöse Bauwerk benennen – oder aber er könnte eine Bezeichnung für dies unfassbare Ding sein, das wir Leben nennen.

(c) Titelbild: Aleksandra Terefenko

(c) Septime Verlag

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Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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