Buchcover Wovon Wir Träumen

Lin Hierse „Wovon wir träumen“ – Ein Buch übers Tochtersein

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Lin Hierses Debütroman „Wovon wir träumen“ (erschienen bei Piper) ist ein sanftes Buch, das dennoch einen tiefen, tiefen Eindruck hinterlässt.

Vor einigen Monaten postete die TAZ-Kolumnistin (Poetical Correctness), Journalistin und nun Debütautorin Lin Hierse auf Instagram:

the best thing about
staying soft
is that you are
so much harder
to break.

Und ja, Wovon wir träumen ist ein weiches, aber bei weitem kein zerbrechliches Buch. Vielmehr ist es einer dieser Romane, die stark machen, die Perspektiven aufwerfen, die die schmalen Silver Linings am Himmel zeigen.

Die Geschichte beginnt in Shaoxing, auf einem Berg. Die Erzählerin ist dort, um ihre Abu, ihre Großmutter zu beerdigen. Vor Jahrzehnten ist ihre Ma, ihre Mutter, von diesem Ort nach Deutschland ausgewandert, hat ihre Träume von einem anderen Leben in einen roten Hartschalenkoffer gepackt. Nun steht sie hier als Tochter, setzt ihre eigenen Träume in Bezug zu denen ihrer Mutter. Sie selbst ist in Deutschland aufgewachsen, lebt in einer Einzimmerwohnung in Berlin, fährt zum See, spaziert durch die Stadt, geht ihre Mutter besuchen und sitzt mit ihr im Garten. Sie streiten, sie telefonieren, sie sind immer wieder in Kontakt und wissen doch teilweise so wenig voneinander. Das Schlimmste, das ihre Ma der Protagonistin vorwerfen kann, ist, dass sie keine richtige Chinesin ist. Sie sieht sich anders als ihre Mutter und sucht gleichzeitig ihre Identität genau in ihr. Sie hält sich an den kleinen Erzählpuzzlestücken fest, die sie hat, versucht ein Gesamtbild des kommunistischen Landes bekommen, dem ihre Mutter den Rücken gekehrt hat, versucht gleichzeitig sich selbst zu verorten, verarbeitet das Thema Migration in Traumsequenzen weiter.

Tanja König hat sie als Kind immer heißen wollen, wie eine blonde Polizistin oder auch vielmehr wie die Namen, die sich auf Kakaotassen und Frühstücksbrettern finden lassen. Stattdessen trägt sie einen Namen, der nur drei Buchstaben hat, der chinesisch ist und sich trotzdem in Deutschland aussprechen lässt – schon in ihrem Namen stecken die zwei Welten, der Versuch, zwei Orte miteinander in Bezug zu bringen. Jade bedeutet ihr Name auch und immer wieder taucht das Bild eines Jade-Armbands auf, mehrere Kapitel sind nach dem Stein benannt, fast ist es, als würde das Edelmetall durch die Seiten schimmern und sich auf die Sprache legen, kühl, glatt, weich, ruhig, vertraut. Alle Kapitel haben Namen und alle Kapitel geben diese Vertrautheit, lassen tief blicken ins Innere der Erzählerin, die ihre Gedanken und Gefühle so mutig äußert, dass ein Entziehen unmöglich ist.

Das Buch mag auf den ersten Blick ruhig sein, kontemplativ sogar. Aber in den Bildern, die Hierse schafft, liegen Welten und ihre Worte wirken unzerbrechlich:

Manchmal gebe ich mir große Mühe, ganz anders zu sein als du. Dann tue ich Dinge, die du nicht magst. Ich trage die Haare kurz. Ich schlafe mit Männern, die ich niemals heiraten will. Ich gebe Menschen zu viel von mir, ohne vorher zu prüfen, ob sie es verdient haben. Ich versuche mich über das hinaus zu dehnen, was dein Leben ist. Denn so ist es doch in den Geschichten, in denen die Kinder immer noch mehr haben sollen als die Generationen vor ihnen. Trotzdem komme ich immer wieder bei dir an.

Buchcover rosa mit Buchtitel und Bild mit Mädchen
(c) Piper

 

Weitere Informationen

Hier gehts zum Buch.

Lin Hierses Kolumne poetical correctness findet ihr hier.

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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