Mensch geht eine Straße entlang

VorLaut – Arschkarte Kultursektor

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Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Max ist nicht nur Journalist sondern auch Opernsänger. Deshalb diese Woche ein Herzensthema: Warum es Künstler besonders hart trifft und sie sich trotzdem nicht organisieren.

Das Bekenntnis zur Kulturnation Österreich geht immer nur genau so weit, bis man etwas dafür tun müsste. Von Bernhard bis Helnwein rühmt sich Österreich mit Künstlern immer im Nachhinein. Bernhard musste erst sterben und Helnwein auswandern, um echte Anerkennung zu finden. Der österreichische Kulturkonservativismus kennt keine Grenzen. „Es ist unsere kreative Tätigkeit, die kulturelle Werte schafft, nicht nur deren Repräsentation und Verwahrung”, schreibt die Secession in ihrem offenen Brief.

Wie schlecht ihre Interessen besonders in der Bundesregierung vertreten sind, wissen alle Kulturschaffenden in Österreich spätestens seit dem mittlerweile schon fast legendären Kulturmontag von letzter Woche. Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek offenbarte mehrmals ihr Desinteresse und jene Inkompetenz, die sie bereits als Spitzenkandidatin scheitern hatten lassen. Der für Kultur zuständige Vizekanzler Werner -„nicht der Detailminister für alles…”- Kogler sagte kurz darauf, er sei für Vorschläge, was das Abhalten von Kulturveranstaltungen angeht, offen. Dass solche von seiner Seite noch nicht am Tisch liegen, ist eigentlich ein Skandal. Viele andere Branchen haben schließlich auch eine Sonderregelung.

Warum stehen die zahllosen Künstler in Österreich also nicht geeint gegen diese Verhältnisse auf, wie es andere Arbeitnehmer tun würden? Weil jeder von uns glaubt, es besser zu wissen, zu können oder zu verstehen. Wir Kulturschaffenden sind über Jahrzehnte hinweg zum Individualismus und dauernder Konkurrenz erzogen. Das fällt uns jetzt auf den Kopf. In zahllose Interessensgemeinschaften und Initiativen zerkleinert, fehlt dem Kultursektor jene Durchschlagskraft, die etwa der ÖGB hat. Wenn es um gewerkschaftliche Organisation geht, sind wir nichts Besonderes, keiner von uns. Nur wenn wir das verstehen, können wir auch wirksam in politische Prozesse eingreifen.

Es wird Zeit für eine einheitliche Künstlergewerkschaft, die uns gegenüber Unternehmen und dem Staat vertritt. Mithilfe so einer Organisation könnte eine Berufsgruppe, die tendenziell zu den progressivsten Kräften in der Gesellschaft gehört, eine Vorreiterrolle einnehmen. 

Wir könnten gemeinsam für faire Arbeitsbedingungen an Theatern, gerechte Entlohnung für Orchestermusiker oder ein bedingungsloses Grundeinkommen kämpfen, das allen Kreativen mehr Platz für freie Gedanken abseits der Existenzsorgen schaffen könnte. Dafür müssten wir alle aber unsere Egos über Bord werfen, doch ich frage ganz ehrlich: Wenn nicht jetzt, wann dann?


Weitere Infos:

Offener Brief der IG Kultur

Forderungskatalog der österreichischen Kunstunis

Comitted to the best obtainable version of the truth.

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