Ein Gruppenbild der wichtigsten Charaktere aus "Apollo Justice: Ace Attorney" (Capcom).

OldMacMario’s Farm @ wolfgang #11: Never Change a Winning Team

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Wenn die Menschen hinter populären TV- oder Kinorollen willentlich abdanken, wegen Skandalen gefeuert werden, oder tragischerweise versterben, steht ein künstlicher Generationswechsel an, der selten gutgeht: Etablierte Hauptcharaktere fehlen plötzlich und werden durch nicht zwingend ebenbürtige Neuschöpfungen ersetzt, was die ganze Story zum Implodieren bringen kann! Videospielserien mit ihrem virtuellen Personal hätten dieses Problem eigentlich nicht – eigentlich…

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Titelbild: Capcom

Denn manchmal, weiß der Teufel warum, sind wir auch im Gaming-Bereich nicht vor solchen unschönen „Generationswechseln“ gefeit. Ich meine damit dezidiert nicht bewusste alternative Ansätze wie Spin-offs von Fan-Favoriten (etwa Luigi’s Mansion) oder Ensemble-Serien der Final Fantasy-Art (die ohnehin mit fast jeder Episode Welt, Ära und Charaktere wechseln), wo den Änderungen durchaus ein narrativer Sinn zugrundeliegt; bitte auch den Kolumnentitel nicht derartig missverstehen. Nein, es geht um das Ärgernis, wenn von einem Serienteil auf den anderen bisherige Titelfiguren ohne Not durch weniger interessante „Klone“ ersetzt werden!

Siehe beispielsweise Dark Dawn für DS, den dritten Teil von Camelots Golden Sun-Reihe, welcher anstatt direkt an den Cliffhanger am Ende von Episode 2 anzuknüpfen, mal eben einen Zeitsprung von 30 Jahren macht: Isaac, Garet und der Rest der jugendlichen Party von damals treten in den Hintergrund; stattdessen steuert ihr nun deren Kinder, die ihren Müttern und Vätern charakterlich und optisch so ähnlich sind und dabei kaum eigene Akzente setzen, dass der erzählerische Mehrwert dieses (hier buchstäblichen) Generationswechsel höchst fraglich ist…

Zurück in die Zukunft?

…umso mehr dadurch, dass die damaligen Hauptfiguren aufgrund eines magischen Phänomens, dem sie im Zuge des Finales des Vorgängers ausgesetzt worden woren, in den letzten drei Dekaden kaum gealtert sind: Die Endvierziger Isaac und Garet unterscheiden sich z. B. vorrangig durch dämliche Bärte von ihren Teenager-Inkarnationen, und selbst deren damals schon greisenhafter Lehrer Kraden erfreut sich immer noch bester Gesundheit! Kurz: Die Helden von damals wären immer noch in bester Form, um den neuen Bedrohungen in Teil 3 die Stirn zu bieten – aber sie bleiben lieber zu Hause und schicken, ganz im Stile verantwortungbewusster Erziehungsberechtigter, stattdessen ihre Kinder auf das lebensgefährliche Abenteuer. Warum steuern wir nicht Isaac und Konsorten? Oder besser: Wenn die vergangene Zeit erzählerisch also ohnehin kaum Gewicht hat, warum dann überhaupt dieser unnötige Zeitsprung, Camelot?

Keine Frage, als Gesamtpaket ist Dark Dawn immer noch ein tolles Spiel, aber diese charakterbezogene Verschlimmbesserung fällt dennoch stark auf. Gleiches gilt für Apollo Justice, den vierten Teil von Capcoms Ace Attorney-Serie (DS/3DS): In Episode 1 (und danach auch in 2 und 3, die jeweils ein Jahr später spielen) schlüpfen wir in die Rolle eines 24-jährigen Junganwalts mit aus der griechischen Mythologie entlehntem Vor- und auf die Juristerei hinweisenden Nachnamen (Phoenix Wright, dritte Person von links im Artwork unten), der gerne blaue Anzüge und relativ eigenartige Frisuren trägt und gemeinsam mit der kleinen Schwester seiner Chefin, einem 17-jährigen Geistermedium (Maya, zweite von links), knifflige Kriminalfälle recherchiert, um seine Mandanten vor Gericht zu verteidigen. Was auf dem Papier reichlich seltsam klingen mag, gestaltet sich tatsächlich sehr überzeugend: Brüllend komische Dialoge zwischen dem kongenialen Duo Phoenix-Maya fügen sich organisch mit überraschend vielschichtigen Charakterzeichnungen und verdammt spannenden Mordermittlungen und Gerichtsverhandlungen zu einem fesselnden Ganzen zusammen!

Ein Gruppenbild der wichtigsten Charaktere aus "Phoenix Wright: Ace Attorney" (Capcom).
OBJECTION! [Artwork: Capcom]

Für Teil 4 hatte Capcom dann jedoch eine glorreiche Idee für einen, seufz, Zeitsprung, und sieben Jahre später tritt statt Phoenix und Maya ein völlig eigenständiges Duo ins Rampenlicht: Hier schlüpfen wir in die Rolle eines 22-jährigen Junganwalts mit aus der griechischen Mythologie entlehntem Vor- und auf die Juristerei hinweisenden Nachnamen (Apollo Justice, dritte Person von links im Titelbild ganz oben), der gerne rote Anzüge und höchst eigenartige Frisuren trägt und gemeinsam mit der Adoptivtochter seines Chefs, einer 15-jährigen Zauberkünstlerin (Trucy, zweite von links), knifflige Kriminalfälle recherchiert, um seine Mandanten vor Gericht zu verteidigen. Original characters – do not steal!

Abgesehen von diesen grotesk vielen Parallelen und dem Umstand, dass Apollo und Trucy als Hauptcharaktere niemals mit Charme und Vielschichtigkeit von Phoenix und Maya konkurrieren können, sondern eher verhältnismäßig eindimensional und bisweilen ein wenig nervig wirken, ist (anders als Maya, deren Abwesenheit nie zufriedenstellend erklärt wird) der etablierte Held Wright auch hier wie zum Hohn zwar noch zugegen, wurde aber zu einer Nebenfigur in seiner eigenen Serie degradiert (Tatsächlich ist er der vagabundenhafte Geselle ganz links im Titelbild): Wie sich herausstellt, hat er kurz nach Episode 3 durch ein extrem durchschaubares Komplott (das nach Logik und Charakterdynamik der letzten drei Teile sehr schnell aufgeklärt gewesen sein müsste) seine Zulassung als Anwalt verloren und verdingt sich nun als Pianist in einer zwielichtigen Bar, was (auch wenn später durchaus thematisiert wird, dass er nie aufgehört hat, seine eigenen Nachforschungen anzustellen) ähnlich „out of character“ wirkt wie Goofy als Buchhalter…oder eben Golden Sun-Isaac, der seinem Sohn eine Abenteuerreise aufhalst und selbst zuhause faulenzt.

Happy End

Aber anders als bei Golden Sun (das bis heute noch keinen vierten Teil erhalten hat) kamen für Phoenix doch noch bessere Zeiten: In Teil 5, der (trotz nun mit Apollo geteilter Hauptrolle) endlich wieder nach ihm benannt war, bekam er seine Zulassung zurück und zeigte im klassischen Outfit einmal mehr, warum er der um Längen interessantere Charakter als sein zwischenzeitlicher „Nachfolger“ ist; in Episode 6 schließlich verkomplettierte die wiederkehrende Maya das Dreamteam erfreulicherweise erneut! Gut gerettet, Capcom, aber wieso denn überhaupt zwischenzeitlich zwei eurer kultigsten Charaktere ersetzen? Wirklichen narrativen „Payoff“ brachte die Einführung von Apollo und Trucy nie, wodurch sich der Sinn des Zeitsprungs hier ebenso wenig erschließt wie bei Golden Sun.

Wie eingangs erwähnt soll diese Kritik bitte nicht als Anklage an die Experimentierfreudigkeit von Franchise-Verantwortlichen per se verstanden werden – wie langweilig wäre die Spieleindustrie schließlich, wenn immer alles gleich bliebe! Aber das macht undurchdachte Änderungen wie die obigen nicht automatisch sinnvoll – oder gefiele es euch, wenn Nintendo seinen aktuellen Jump&Run-Star in den Ruhestand schicken und durch einen blaubemützten, Kinnbart tragenden Elektriker namens „Ultra Giacomo“ ersetzen würde…?

Würfelförmige pixelige Katze

Vielen Dank fürs Lesen und hoffentlich bis zum nächsten Mal sagen Kolumnen-Katz und Old!


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Herausgeber des "Generation N"-Printmagazins und generation-n.at-Videoredakteur, Germanist, Informatiker, Videospielfreak seit Kindergartentagen, auch Kino, Comics und dem Basteln von seltsamen Kurzfilmen nicht abgeneigt sowie stolzer Absolvent eines Wochenend-Intensivkurses der Clownerie.

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