Und langsam erobern wir wieder die Städte

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Nach etwa zwei Monaten des beinahe totalen Lockdowns beginnt die zweite Phase des COVID-19-Notstands in Italien. Wir dürfen wieder etwas anderes als die Wände unserer Wohnungen sehen. Aber das Schlüsselwort muss Vorsicht sein.

Am 4. Mai begann in Italien die sogenannte „Phase 2“ der Corona-Pandemie. Die großen Unterschiede zu Phase 1 beziehen sich vor allem auf drei Bereiche des Alltags: zwischenmenschliche Beziehungen, die Arbeit und das Leben in den Städten. Die Maßnahmen, die Phase 2 charakterisieren, stellen nicht das Ende der Pandemie dar, sondern sind als erste psychologische und wirtschaftliche Erleichterung zu verstehen.

Gemäß des Dekrets des Regierungschefs vom 26. April darf man ab 4. Mai Familienmitglieder bis zum sechsten Verwandschaftsgrad und Verschwägerte bis zum vierten Grad treffen. Das heißt, ich darf zum Beispiel den Vetter meiner Gattin und andere Verwandte treffen, die normalerweise nur bei Hochzeiten und Beerdigungen zu sehen sind. Natürlich brachte eine solche Definition viele Polemiken mit sich und die Regierung, der vorgeworfen wurde, eine zu traditionelle Familienanschauung zu haben, spezifizierte daraufhin, dass auch Partner, etwa feste Freunde und/oder Freundinnen und Mätressen (wenn vorhanden) getroffen werden dürfen.

Natürlich scherze ich, in der Tat geht es um eine echte psychologische, Erleichterung, vor allem wenn man die eigenen Eltern für über 60 Tage nicht gesehen hat. Die Institutionen mussten eben irgendein Kriterium finden, um zu erlauben, dass sich die Leute wieder vorsichtig treffen können. Man kann dafür oder dagegen sein, aber momentan fällt auch mir keine bessere Kategorie als die der „Angehörigen“ ein.

Die Wirtschaft startet langsam wieder

Phase 2 bedeutet auch eine langsame Wiedereröffnung von Firmen, öffentlicher Lokale und Büros. Selbstverständlich ist das keine gänzliche Aufhebung der Einschränkungen, sondern eine Zwischenphase: Schutzmasken, Warteschlangen und soziale Distanzierung spielen eine große Rolle. Diese langsame Rückkehr in die Normalität, was auch immer damit gemeint ist, sollte nicht nur eine wirtschaftliche Verbesserung mit sich bringen, sondern auch einen Aufschwung unserer Laune. Nach zwei Monaten habe ich es wirklich angenehm gefunden, zu meinem Lieblingscafé in der Altstadt von Ravenna fahren zu dürfen, um dort mit meiner Schutzmaske und der leider üblichen sozialen Distanzierung einen Kaffee zum Mitnehmen zu bestellen, dann in den Park zu gehen und dort, alleine, isoliert und im Gehen, den Kaffee zu trinken. Das mag traurig scheinen, aber ich habe ein Stückchen meiner Freiheit wiedergewonnen.

Die Städte leben wieder

Auch ein Zeichen dieser zweiten Phase: Die Parks, die Gärten und die Wälder dürfen wieder besucht werden (wenn auch nur zum Spazieren – Ansammlungen müssen wie zuvor vermieden werden). Einsame Spaziergänge und  Sporttreiben sind jetzt erlaubt, das hat natürlich die Straßen, Parks und Plätze unserer Städte wieder bevölkert. Wenn alles gut geht – und die letzten Daten sehen wirklich optimistisch aus, auch wenn sie sich wegen der Inkubationszeit des Virus auf die letzten zwei Wochen der Phase 1 beziehen – dürfen auch alle Geschäfte und Lokale ab Mitte Mai wieder öffnen. Momentan erobern wir unsere Städte nur zum Teil wieder, in zwei Wochen werden wir sie hoffentlich im Allgemeinen wiederbeleben.

Es ist noch nicht vorbei

Diese Lockerung, und somit Verbesserung der Situation, bedeutet nicht das Ende des Notstandes: täglich gibt es noch zu viele Infizierte und Opfer. Man muss noch vorsichtig sein und enge Kontakte vermeiden, um das Virus so wenig wie möglich zu verbreiten. So wird unser zukünftiges Leben von Schutzmasken, sozialer Distanzierung und einer allgemeinen Vorsicht bestimmt sein, in der Hoffnung, dass solche Maßnahmen uns wieder vollkommen befreien können.

Italiener, Übersetzer, Beobachter. Meine Leidenschaften sind die Politik, die Musik und die Literatur.

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