„Mei, heit san’s aber alle b’sonders fesch“, näselt Fritz durch das überfüllte Café Lambada, das umzingelt von Brillenläden und Vintage Stores in der Wiener Neubaugasse liegt. Er, in seiner ausgeblichenen Jeansjacke, locker am Tresenrand lehnend. Das Bierglas in seiner Hand gehört zu ihm wie die schlechten Zähne und die noch schlechteren Geschichten.
Der Grönlandhai werde angeblich 500 Jahre alt und erst nach 125 Jahren sei er geschlechtsreif. „Dann habe ich ja mindestens noch siebzig Jahre Zeit, bevor ich eine Frau suchen muss.“ An ihm vorbei drängen sich junge Frauen, mit der Matura und kleinen Schnapsflaschen in der Tasche, zu Kian an die Bar. Auch sie in ausgewaschenen Jeansjacken. Kian, der Besitzer des Café Lambada, floh im Trubel der Iranischen Revolution 1979 nach Wien. Erst kickte der ehemalige persische Nationalspieler mit Hans Krankl, dann eröffnete er das Lambada. Über dreißig Jahre ist das her. Krankl steht nun vor den Sky-Kameras, Kian hinter der Theke seiner Bar.
Jahre lief das Lambada mühsam und unbemerkt. Zu den fünf, sechs Stammgästen gesellte sich nur die Einfalt und hin und wieder ein Zufallsgast. Viele von den Wenigen kamen hierher, weil sie sonst keinen mehr hatten. Der Umsatz nebensächlich, trotzdem dachte Kian ans Aufhören, bis eine frustrierte Gruppe Schüler*innen des Amerlinggymnasiums in das Lambada-Leben stolperte. Eine schlecht ausgefallene Schularbeit, und der Kollege Zufall ließ sie in die Bar hineingehen, und nicht wie hunderte Male davor, daran vorbeilaufen. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Lambada zu ihrem Wohnzimmer. Die alten Stammgäste füllten die Schüler*innen mit guten Geschichten ab. Die ironische Distanz zueinander fiel sofort. Stichwort: generationenübergreifender Austausch, getränkt in Bier und noch mehr Schmäh. Junge Menschen trinken in den Klamotten ihrer Väter neben Frauen, die ihre Mütter sein könnten. Das Bild, wie es über Jahre im Lambada gemalt wurde, passte.
Stirbt die Kneipe, stirbt die Gegend
Im diesjährigen Sommer war nun endgültig Schluss. Auch wegen der zehrenden Lockdowns. Kian ging in Rente und die Gardinen wurden schlussendlich zugezogen. Zurück blieben die Lambada-Verehrer*innen, vereint in der Hoffnung auf einen würdigen Nachfolger, und dass bitte, bitte, alles so bleiben sollte, wie es war. Bier 2,50 Euro. Nam Nam 2,50 Euro. Polster, Deko aus den 80ern und rechts an der Bar Georg, geboren in den 50ern, der jede Nam Nam-Bestellung mit den immer selben Worten kommentiert: „Der wird dich verfolgen – bis in den Schlaf.“
Das böse Erwachen aber folgte zwei Monate später – auf TikTok. Ein Video geisterte durch die Lambada-Whatsapp-Gruppen. Transformation: altes Beisl wird zur Secret Bar. Woche eins: Decke schwarz gestrichen. Woche zwei: Tische bekommen weiße Fliesen. Woche drei: Tische und Bar werden pink gestrichen. Am Ende des Videos zu sehen: der Influencer Hank Ge, Hemd Ton in Ton mit der neuen Tischfarbe. Vom alten Lambada nichts mehr zu erkennen. Jede Videosequenz ein weiterer Sargnagel für das ehemalige Beisl.
Design und Inszenierung
Neben dem Bali Brunch und einem veganen Eissalon eröffnet er nun in der früheren Herzkammer der Neubaugasse eine Secret Bar mit geheimem Eingang, in der er Sauerteig-Pizzen anbietet, die aussehen werden wie Wolken. Durchdesignt bis in den allerletzten Winkel. Clean und hochgradig inszeniert wie Hank Ge selbst. In seinen Interviews mit dem Kurier oder dem Chill Report benutzt er Worte wie „Schleckermäulchen“ oder spricht von seinen „Brunchkins“, denen er so gerne ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Jedes Wort der Sprachmacht von Hank Ge – Wasser auf den Mühlen. Seine Ideen stammen von seinen Vorlieben für Healthy Food-Kreationen und der passionierten Reisesehnsucht nach Bali. Außerdem sei Wien für den gebürtigen Kölner businessmäßig „mega geil“. Ausgerechnet Wien.
„Bis dass da letzte Wüschtla schließt und ein Kebap Standl wird“ (Wiener Blond – der letzte Kaiser)
Wer sich krampfhaft an der Nostalgie festhält, ist selten gut beraten. Alles hat seine Zeit. Aber wenn ein altes Beisl schließt, dann tut es das für immer. Wir tragen Klamotten von früher, schauen uns alte Filme an und fliegen in fernöstliche Länder, in denen es aussieht wie in den 80ern. Wir suchen diese Räume auf, weil Wien eben nicht mehr wie 1983 ist. Wir versuchen etwas nachzuholen, was wir selbst nicht mehr durchleben durften. Eine Zeit, die nur in alten Beisln und den Überbleibseln darin konserviert ist. Bis das letzte von ihnen schließt, indonesisches Essen oder Wolkenpizza anbietet und den Bali-Tod stirbt.
Titelbild: (c) privat